Blog #28c, Marlene (September 2023, Nordwest-Indien Teil III)

Karma Yoga mit Jai

Heute ist Rakhi, einen traditionellen Feiertag aus Rajasthan. In den Familien erfolgt der Austausch von Rakhi-Armbändern als Zeichen des Strebens nach familiärem Wohlbefinden. Dieser sympathische Brauch führt dazu, dass sich die Familie versammelt und die Geschäftstätigkeit anregt. Die Abende sind friedlich; die Menschen bleiben Zuhause, und wir würden es begrüssen, wenn es mehr Rakhi-Festivals geben würde.

 

Schon vor Sonnenaufgang ist Jai, unser Yoga-Lehrer, bei uns. Zusammen erwerben wir frisches Gras für die heiligen Kühe und Toastbrot für die Vögel bei einem örtlichen Bauern und einem Kioskbesitzer. Obgleich die Kühe auf einer Wiese stehen könnten, erwarten sie inzwischen die Nahrung von den Gläubigen am Morgen.

 

Wir füttern Brot an die Fische im Heiligen See und an die zahmen Eichhörnchen sowie an die Vögel. Einen Moment verweilen wir vor dem Tempel im Wald, um uns zu sammeln, bevor wir unsere meditative Stille fortsetzen. Tiefer im Wald, wo Leoparden ansässig sind, legen wir Futter für die Wildpfauen aus, die sogleich aus allen Richtungen herbeiströmen.

 

Jai versichert mir, dass die Leoparden Menschen nicht angreifen, da sie mit Hunden als Nahrung versorgt werden. Jedoch mussten auch seine eigenen Hunde kürzlich ihr Leben lassen, was den Kreislauf des Lebens verdeutlicht. Nach einer geleiteten Meditation im Wald und einer Einweisung in Karmayoga, welche wir aufgrund der ausgiebigen Suche nach Pfauenfedern nicht praktizieren konnten, setzten wir unseren Tag fort.

 

Den Nachmittag nutzen wir, um mein Handy reparieren zu lassen, dessen Akku sich in der Hitze von Lahore aufgebläht und dessen Display Schaden genommen hatte. Ohne ausbeuterische Kinderarbeit wurde das Gerät kosteneffizient instandgesetzt und erstrahlt nun in neuem Glanz.

 

Unser Appetit wird mit etwas Frittiertem gestillt, bevor wir uns per Uber zurück zu unserem Auto chauffieren lassen. Am Abend ist eine weitere Verabredung geplant, doch weder besitze ich die Energie noch verspürt Dani den Wunsch nach Gesellschaft, weshalb wir uns für einen gemütlichen Abend zuhause entscheiden. Kurzzeitig wird unsere Ruhe durch die Polizei gestört, die vor unserer Tür steht, aber nach einem Austausch der Handynummern und der Zusicherung regelmässiger Patrouillen um unser Auto gestatten sie uns, hier zu übernachten.


Mit zusätzlicher Hupe nach Pushkar

Bereits vor dem ersten Tageslicht begaben wir uns mit Fahrrädern und Yogamatten auf den Weg, um eine ruhige Yoga-Session mit bezauberndem Blick auf Jaipur zu geniessen. Nach unserer Rückkehr setzt Dani die Arbeit an dem gestern angefangenen Hupe-Projekt fort. Ich möchte für die Beifahrerseite eine eigene Hupe, da die Einheimischen zweifellos ständig und überall in den überfüllten und chaotischen Strassen hupen. Ohne Zweifel beherrschen sie die Kunst des Hupens besser als das Fahren selbst.

 

Dani, der häufig das Steuer führt, hupt meiner Meinung nach viel zu selten, was oftmals notwendig wäre, um andere Verkehrsteilnehmer vor gefährlichen Situationen zu warnen. Nachdem mein Wunsch nun perfekt realisiert wurde, empfinde ich Stolz, am indischen Hupkonzert teilnehmen zu können. Ich bin begeistert von meinem roten Knopf und bin mir sicher, dass Dani diese Entscheidung noch bedauern wird – doch dann ist es bereits zu spät.

 

In der Kleinstadt Pushkar, unserem nächsten Halt, spüre ich sogleich beim Verlassen des Fahrzeugs, dass dieser Ort wie für mich geschaffen ist. Er strahlt eine eigentümliche, hippe und ruhigere Atmosphäre aus, die meinem Geschmack entspricht. Die vielen attraktiven Geschäfte mit Schmuck, Kleidung und diversen Kleinigkeiten gefallen mir ausserordentlich. Die Schaufenster locken mit ihren Angeboten. Die ausschliesslich vegetarischen Restaurants des Ortes sind einladend, zahlreich und machen Lust auf längeres Verweilen. Die Musik erklingt in angenehmer Lautstärke aus den Lokalen, während die Glocken der vielen Tempelanlagen deutlich vernehmbar sind.

 

Unser erstes Ziel ist der Brahma Tempel, der jedoch bei unserer Ankunft noch geschlossen ist. Daher schlenderten wir zum heiligen Pushkar-See, in dem Dani ein reinigendes Bad im geweihten Wasser nimmt. Trotz der sengenden Hitze hat uns diese kaum etwas ausgemacht, da wir uns mittlerweile an das dauerhaft heisse Klima gewöhnt haben. Nach dem Bad suchen wir zuerst ein nettes Café auf, um uns neu zu ordnen und zu planen, welche Sehenswürdigkeiten wir noch besichtigen wollten.

 

Danach setzen wir unseren Weg durch die schmalen Gassen zwischen den vielen Händlern fort, die uns glücklicherweise nicht bedrängten und entspannt vor ihren Läden verweilten. Wir entdecken ein weiteres ansprechendes Restaurant und verspüren abermals Durst. Es ist durchaus angenehm, dass die Preise nach unseren Massstäben recht niedrig sind, was einem gemütlichen Kaffeetrinken nichts im Wege steht.


Eine Woche Urlaub vom Reisen

Urplötzlich, als wäre ich vom Blitz getroffen, erkenne ich, dass dies der ideale Ort für unser Yoga-Retreat ist. Ich recherchiere online und befrage den Kellner, der uns Sanatan Yog vorschlägt. Fünfzehn Minuten später finden wir uns in Sanatans Büro wieder und planen die kommende Woche. Uns wird angeboten, den Unimog im Garten des Sanatan Yog Ashrams abzustellen. Täglich geniessen wir sowohl morgens als auch abends eine private Stunde in Hatha oder Ashtanga Yoga im prachtvollen Tempel, beobachtet von den Göttlichkeiten Lord Rama, Krishna und Hanuman, dem Affengott.

 

 

Im Paradies angekommen, lassen wir uns von der Umgebung leiten und erholen uns von den schönen, aber fordernden Erfahrungen in Indien. Es scheint, als würden wir den ersten wirklichen Urlaub unserer Reise geniessen. Wir gönnen uns eine kleine Atempause und verarbeiten die Flut der Sinneseindrücke und überwältigenden Reize der letzten Tage. Ohne Einkaufen, Kochen, Reparaturen am Auto, ohne Fahren, Lärm und Stress, dafür mit feinem Essen, Einkaufsbummeln für meine Mädchen in Zürich, Yogaentspannung und Bloggen. Gerade entspannen wir uns auf zahlreichen Kissen im Café Funky Monkey, schlürfen Chai und Fruchtsäfte, spielen mit einem acht Wochen alten Welpen und schreiben diese Zeilen.

 

 

Ihr könnt euch sicher vorstellen, wie glücklich ich in diesem Moment bin, wenn ein weiterer Traum in Erfüllung geht. Bisher war ich es gewohnt, selbst Sport zu unterrichten, und es macht mich glücklich, die Expertise und Ratschläge der Yogalehrer zu erleben. Unsere Sitzungen beginnen immer mit dem OM Shanti Mantra, enden mit einer Meditation und der anschliessenden Ehrerbietung gegenüber unserem Lehrer, unseren Eltern und dem Dasein.


Die blaue Stadt

Der Ferienaufenthalt war zwar kurz, aber dennoch äusserst entspannend. Auf der Landstrasse sind viele Pilger auszumachen, die sich mit Fahnen, Wimpeln und anderer farbenfroher Dekoration bewaffnet, barfuss und teilweise humpelnd unter der sengenden Sonne vorwärts bewegen. Längs der Strecke bieren sich wiederholt Gelegenheiten für kostenlose Mahlzeiten und Übernachtungen für die Gläubigen. Wie uns zu Ohren kommt, begleiten sie gelegentlich Opiumhändler, die auf grosse Absatzmöglichkeiten hoffen.

 

Als wir am späten Nachmittag Jodhpur erreichen, lassern wir uns mit einem Tuk Tuk in die historische Altstadt fahren. Die Stadt, die oft als 'blaue Stadt' bezeichnet wird, ist durchaus eine Reise wert. Einst zeigte die blaue Farbe die Zugehörigkeit zur Brahmanen-Kaste an, und obwohl diese Tradition veraltet ist, wird sie hier noch immer praktiziert, heutzutage auch von Nicht-Brahmanen. Zusätzlich ansprechend für Touristen, trägt das Blau auch zum Schutz vor Moskitos und zur Abschwächung der Hitze bei, wie man uns berichtet. Dani, weshalb ist unser Gefährt nicht blau? Es herrscht grosse Hitze und es gibt viele Mücken!

 

Am nächsten Morgen, noch bevor die grösste Hitze einsetzt, besichtigen wir die beeindruckende Mehrangarh-Festung, die majestätisch auf einem Felsen thront und einen herrlichen Ausblick auf Jodhpur bietet. Anschliessend besuchen wir das gegenüberliegende Mausoleum Jaswant Thada.


Einer der schönsten Tempel in Indien

Aufgrund der angenehmen Kühle, die die Klimaanlage in der Fahrerkabine bietet, haben wir uns dazu entschieden, die Mittagszeit im Fahrzeug zu verbringen. Am Morgen zeigen wir uns zögerlich und setzen unsere Fahrt erst fort, wenn die Hitze unerträglich wird.

 

Unser Wunschziel ist der Ranakur Jain-Tempel. Der Jainismus, welcher im 5. Jahrhundert v. Chr. seinen Ursprung in Indien fand, ist eine Religion, die das Prinzip der Ahimsa – der Nichtverletzung aller Lebewesen – hochhält.

 

Die Tempelanlage zählt zweifellos zu den beeindruckendsten, die wir bis dato betrachten konnten. Das aus dem 15. Jahrhundert stammende Heiligtum ist inmitten des Dschungels gelegen. Es stellt ein Meisterwerk dar, das wir mit Ehrfurcht bewundern. Man könnte problemlos mehrere Tage hier verbringen, sich in die Vielzahl an Figuren und Symbolen vertiefen, immer wieder neue Aspekte entdecken.

 

Ich bin hingerissen, verzaubert und habe mich verliebt – mir ist bewusst, dass ich mich wiederhole – in dieses hervorragende Land. Könnte es sein, dass ich in einem früheren Leben eine Inderin war?


In Udaipur

Nach einer erfrischenden Abkühlung im Fluss setzen wir unsere Reise fort, vorbei an üppigen, smaragdgrünen Wäldern, die sich entlang kurvenreicher Pfade über die Hügel schlängelt.

 

Unser Ziel, Udaipur, erreichen wir am späten Nachmittag und finden einen charmanten Platz an einem der vielen Seen. Die Stadt ist auch bekannt als das "Venedig des Ostens" oder als "Stadt der aufgehenden Sonne". In der Ferne zeichnen sich die Aravalli-Hügel ab. Besonders beeindruckend ist die Architektur der alten Wohnsitze, Hotels und Palastanlagen, welche sehr anziehend wirken. Früh am Morgen machen wir uns auf den Weg, um den City Palast zu erkunden, der am Ufer des Pichola Sees thront. Über einen Zeitraum von vier Jahrhunderten war der umfangreiche Palastkomplex die Heimat verschiedener Herrscher. Anschliessend schlenderten wir durch die Stadt, aber starke Regenfälle zwangen uns, zügig in ein Tuk Tuk zu steigen, welches uns zu unserem Ausgangspunkt zurückbringt.

 

Am Abend war das Wetter wieder einwandfrei, und wir entscheiden uns erneut dafür, entlang des Seeufers essen zu gehen. Die Aussicht des Restaurants ist malerisch, allerdings ist das Essen enttäuschend, was wir in Indien noch nie erlebt hatten. Ob wir eine ungünstige Wahl getroffen haben oder die Küche tatsächlich Mängel aufwies, bleibt ungeklärt, da ein erneuter Besuch ausgeschlossen ist.

 

Nach einer ruhigen Nacht und einer entspannenden Yoga-Sitzung gesellen wir uns zu den im See stehenden Senioren und kommen ins Gespräch. Wir schwimmen einige Bahnen und geniessen das erfrischende Wasser. Über die Qualität des Wassers machen wir uns keine Gedanken – unser Motto ist, einfach zu geniessen, es wird schon nichts passieren.


Tempel, so weit das Auge reicht

Unser nächstes Ziel ist die Festung Chittorgarh, Teil des UNESCO-Welterbes, gelegen rund 110 Kilometer von Udaipur entfernt. Am frühen Nachmittag erreichen wir den Ort und finden nach ausgiebiger Suche einen Stellplatz vor einem Speiselokal. Getrieben vom Hunger entscheiden wir uns für die Einkehr in das Restaurant. Die Festung muss warten. Unser Wirt ist äusserst aufmerksam, das Mahl exzellent und als besonderes Privileg ist es uns gestattet, hier zu übernachten. Die Erkundung der Festung wird daher auf den nächsten Tag verschoben.

 

Die Dimensionen der Festungsanlage sind beeindruckend, und unser Wunsch ist es, sie ohne Hektik und in aller Ruhe zu erkunden – zu Fuss. Die Festung thront auf einem 5 Kilometer langen Felsmassiv mit steilen Abhängen – ein prädestinierter Platz für eine Verteidigungsburg. Zahlreiche Schlachten wurden innerhalb dieser Mauern geschlagen und kosteten viele das Leben.

 

Den gesamten Vormittag verbringen wir heute in der Festung und besichtigen die unzähligen Tempel – in ihrer Blütezeit sollen es 113 gewesen sein. Nach drei Stunden kehren wir erschöpft aber zufrieden ins Restaurant zurück, lassen uns erneut vom Inhaber verwöhnen und nehmen seine Empfehlungen für unsere weitere Reise entgegen. Die von ihm vorgeschlagenen Wasserfälle in Menal sind beeindruckend. Die auf dem Plateau gelegene Tempelanlage besticht durch ihre schlichte Schönheit und ist über ein Jahrtausend alt.


Dschungel Trekking mit den Rangern

Auf der anderen Seite des Wasserfalls entdeckten wir einen Parkplatz, der einen wunderbare Blick auf das sich stürzende Wasser bietet. Wir erhoffen, die Aussicht ungestört geniessen zu können, doch direkt nebenan, durch einen Zaun abgegrenzt, befindet sich ein Gebäude. Die Bewohner bemerkten uns und laden uns mit einer freundlichen Geste zu einem Chai ein. Im Gespräch erklärten sie uns, dass dieses Gebäude eine Stätte des Forest Departments ist. Es gibt neun für die Region zuständige Ranger, die sich um den Wald und insbesondere um die wildlebenden Tiere sorgen. Sie teilen mit uns Fotos, die zeigten, wie sie einen Leoparden aus einem Brunnen retten mussten.

Unser Fahrzeug dürfen wir auf dem Gelände neben dem Forstgebäude, das auch als Wohnhaus dient, abstellen. Nach dem Tee werden wir zum Frühstück und für den nächsten Tag, einem Feiertag an dem die Ranger frei hatten, zu einem Dschungel-Trekking eingeladen. Welch ein glücklicher Zufall. Die Tage, die wir gemeinsam mit den Rangern verbringen, sind herrlich. Die Nächte sind lang und gefüllt mit Gesang, köstlichem Essen und Gastfreundschaft, während der Whisky die eine oder andere trockene Kehle benetzt. Sie nehmen sich Zeit, um uns einen Einblick in ihr Leben und ihre Arbeit zu gewähren.

Staatsangestellten verbietet die Regierung mehr als zwei Kinder zu haben. Bei mehr Kindern würde ihr Gehalt gekürzt. Angesichts einer Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen scheint dies nachvollziehbar. Alle der Anwesenden haben ohne Wahl einer arrangierten Ehe zugesagt. Sie betonten durchweg, dass sie sehr zufrieden sind, wobei sie für ihre Kinder einen anderen Weg anstreben. Es bleibt abzuwarten, wie frei die indische Bevölkerung in Zukunft heiraten kann. Die Frage, ob wir aus Liebe geheiratet hätten, wurde uns oft gestellt – für sie eine Vorstellung, die unerreichbar scheint.


Es startet nicht mehr richtig

In Kota machen wir uns auf die Suche nach Geschäften für Starterbatterien. Unsere beiden Batterien sind erschöpft und arbeiten nur noch auf den letzten Ampere-Stunden – oder sind es Minuten? Lokale Erkundigungen ergaben, dass unser Batteriemodell anscheinend im ganzen Land nicht zu finden ist. Wir mobilisieren alle Ressourcen und setzen unser Netzwerk in Bewegung. Mehrere Kontakte erarbeiten gleichzeitig eine Lösung für uns.

 

Die Nacht verbringen wir in einem trostlosen Industriegebiet der Stadt, nahe den Eisenbahnschienen. Am nächsten Morgen befinde ich mich in einer Krise und frage mich, was ich hier eigentlich mache. Doch aus Mumbai erreicht uns ein vielversprechender Hinweis. Ganz in unserer Nähe soll sich ein professioneller Batterieladen befinden. Der Geschäftsführer sei schon darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass wir auf dem Weg dorthin sind.

 

Tatsächlich existiert der Laden. Gestern haben wir vergebens zwei andere Batteriegeschäfte aufgesucht und uns ohne Erfolg durch die engen, überfüllten Strassen Indiens gekämpft. Aber hier stossen wir auf die grasgrünen Modelle der Firma Amaron. Wir finden uns vor einem grossen Lager voller Bleiakkus in diversen Grössen und Leistungsklassen.

 

Die Angestellten bringen uns verschiedene Modelle, doch keines hat auch nur annähernd die Masse unserer bisherigen Batterien. Wir entscheiden uns für ein kleineres, leistungsschwächeres Modell, das wir quer einbauen können – es passt exakt. Wären sie nur zwei Millimeter breiter oder länger gewesen, hätten wir ein Problem. Vielleicht sind diese nicht so langlebig, doch momentan ist das nebensächlich. Wichtig ist, dass wir etwas mit Energie montiert haben und weiterfahren können. Im Hindi bezeichnet man solch praktische Lösungen als Jugaad.


"Tiger" Safari

Unsere Reise führt uns weiter nach Ranthambhore, wo sich der gleichnamige Tiger-Nationalpark befindet. Am Abend buchen wir eine Safari-Tour und geniessen die Jeepfahrt durch den Dschungel, auch wenn wir keine Tiger, Leoparden oder Schlangen zu Gesicht bekommen. Stattdessen erfreuen wir uns am Fahrtwind, den Vögeln, den Rehen und dem Sonnenuntergang. Dani ist erleichtert, dass er nicht durch die vom Monsun aufgeweichten schlammigen Wege fahren muss und kann so entspannt die Atmosphäre geniessen.

 

Wir haben das grosse Glück, Dharmendra Khandal, den Autor mehrerer Tierbücher, kennenzulernen. Er arbeitet als Naturschutzbiologe bei Tiger Watch, einer NGO, die sich für den Artenschutz in Ranthambhore, Rajasthan, einsetzt.

 

Dharmendra Khandal lebt mit seiner Familie paradisisch mitten im Dschungel von Ranthambhore. Regelmässig bekommen sie auf ihrem Grundstück Kobras, Tiger und Leoparden zu sehen, erzählen sie uns. Sind wir die einzigen in Indien, die ausser Mücken und Ameisen nicht viel anderes entdecken? Wir verbringen die Nacht bei ihnen im Garten in der Hoffnung, ebenfalls etwas zu erleben. Im Dunkeln fällt es mir wirklich schwer, Tiere auszumachen. Wir geniessen spannende Gespräche und die gastfreundliche indische Atmosphäre. Dharmendra schenkt uns zwei seiner Werke für Luca und hofft, dass er ihn im Dschungel besuchen kommt.

 

Seine Frau betreibt eine kleine Fabrik mit einem Restaurant, in dem Frauen aus armen Verhältnissen die Möglichkeit haben, etwas Geld zu verdienen. Wir durften miterleben, wie hier von Hand gestickt und Farbdrucke auf den weissen Stoff gebracht werden. Eine beeindruckende Handwerkskunst – Bettwäsche, die von Hand bedruckt wird. Jede Farbe erfordert einen neuen Druckdurchgang. Sie unterstützen auch Kinder und bieten ihnen Ausbildungsmöglichkeiten. Eine grossartige Initiative, finden wir. Falls jemand Interesse daran hat, die wundervollen Stoffe/Kleidung zu importieren, können wir gerne vermitteln.

 

Aus ihrem Garten nehmen wir frische, reife und köstlich duftende Sternfrüchte und Zitronen mit auf den Weg. Im Gegensatz zur Schweiz, wo die Sternfrucht lediglich als fade, aber hübsche Dekoration dient, schmecken sie hier äusserst lecker, süss und saftig. Die Zitronenschalen, die ich mit dem Sparschäler entferne, werde ich trocknen – so haben wir biologische Zitronenschale zum Kochen.


Bundesstaat: Madhya Pradesh

 

Nach Ranthambhore wird es immer grüner. Der Weg führt durch den üppig grünen Dschungel des Bundesstaates Madhya Pradesh, der fast die Grösse Deutschlands hat. Eine Erwähnung Wert ist der Ort Orcha. Hier stehen etliche Paläste und Tempel aus dem 16. Und 17. Jahrhundert was den Ort für uns sehr attraktiv macht. Wir schlendern durch das das bedeutendste Bauwerk Raja Mahal mit seinen Unmengen an Räumen, Türmchen und versteckte Winkel. Der Chaturbaj-Tempel, welcher dem Gott Rama gewidmet ist, hängen wir noch an.

 

Danach geht’s zum Betwa Fluss wo die Memorialbauten stehen. Von dort aus haben wir gute Sicht auf den Fluss, wo etliche Inder am Baden sind und die heilige Waschung vollziehen. Wie immer in Indien Baden die Leute mit Duschmittel. Es stört sich niemand daran, wenn der ganze Schaum in das Gewässer fliesst. Das Thema Umweltschutz ist in Indien noch nicht angekommen. Diese Flüsse enden alle im Indischen Ozean. Flüsse wie der Ganges oder der Brahmaputra schwemmen täglich Unmengen von Plastikabfall ins Meer.

 

Khajuraho, fahren wir an, steigen aus und werden von vielen Menschen bestürmt. Zudem ist es mörderisch heiss weshalb wir beschliessen nach einem kleinen Rundgang die Sehenswürdigkeiten zu kippen und in Richtung Panna zu fahren. Wir haben mehr Lust auf Muse, Baden und Sein. Wir finden den exakten Platz dazu und Baden im See, Lesen und blicken in die Ferne. Im stehenden Gewässer ist die Gefahr von Parasiten immer etwas in unserem Hinterkopf. So tauchen wir nur kurz ein und lassen das ausgiebige Schwimmen.


Varanasi, dramatisch, überlaufen, faszinierend

Wir setzen unsere Reise fort und steuern auf Varanasi zu, einen verrückten, lauten, bunten und heiligen Ort. Täglich öffnen hier zahlreiche Reisebusse ihre Türen und bringen tausende von Pilgern in die engen Gassen, die zum Fluss führen. Jeder Hindu sollte einmal in seinem Leben hierherkommen, um im heiligen Wasser des Ganges ein rituelles und "reinigendes" Bad zu nehmen.

 

Durch einen Kontakt haben wir einen Tipp für einen Stellplatz am Rand der 2-Millionen-Stadt erhalten. Trotz strömenden Regens rollen wir auf den Parkplatz in der Nähe des Ganges. Nur ein Tempelkomplex trennt uns vom braunen Fluss. Obwohl es nicht sehr ruhig ist, sind wir glücklich darüber, dass wir einen Platz gefunden haben. Wir dürfen hier einige Tage bleiben und werden herzlich von Nimesh, dem Vermittler, begrüsst.

 

Kaum die Augen geöffnet, zieht es uns mit Yogamatte unterm Arm hinunter zu einem der 84 Ghats. Dort erblicken wir neben dem Tempel ein Open-Air Gym, in dem Männer jeden Alters ihre Muskeln stärken. Wir breiten unsere Matten auf den Stufen aus und beginnen mit unseren Atemübungen.

 

Es erstaunt mich, wie wenige Leute gerade jetzt ein Bad nehmen. Später kommt eine Gruppe grinsender Jungs vorbei und springt bald darauf in den Fluss. Mitten in unserem Yoga-Ablauf bemerken wir, dass etwas nicht stimmt. Die Jungs vom Gym rennen an uns vorbei und springen in den Fluss. Sie tauchen unter und scheinen etwas zu suchen. Bei einer Sichtweite von nur 2cm denke ich: "Wie sollen sie da etwas finden?"

 

Die Suche dauert einige Minuten, ein Boot kommt zur Hilfe und wirft einen Rettungsring ins Wasser. Ein Passant klärt uns über das Geschehene auf. Wir sind schockiert und sprachlos. Der Ganges hat gerade zwei Jungs in die Fluten gezogen, die nicht schwimmen können und ertrinken, wenn sie den Boden unter den Füssen verlieren. Eine seltsame Stimmung liegt in der Luft. Niemand zeigt emotionale Regungen, auch die verbleibenden Jugendlichen nicht. Im Gegenteil, wir vernehmen ein Gekicher. Es scheint, als ob dies einfach akzeptiert wird. Der Fluss gibt, der Fluss nimmt. Ein Art Opfer?

 

Wir verlassen den Ort, und eine Welle unbeschreiblicher Gefühle überkommt uns. Wir sind dankbar, dass wir keine Bilder von Gesichtern oder Geräusche in unseren Köpfen haben. Zurück im Auto ist unsere Stimmung nicht gerade super, trotzdem nehmen wir die Einladung von Nimesh an und lenken uns ab. Er arbeitet hier gleich um die Ecke als Rektor einer Schule. Der Komplex liegt wunderschön in einem riesigen Garten und wurde vor fast 100 Jahren vom Philosophen, Lehrer und Meister Krishnamurti erbaut.

 

Die Philosophie ähnelt der unserer Rudolf-Steiner-Schule, die von einer Stiftung gesponsert wird. Heute werden hier arme Kinder für wenig Geld und Kinder aus wohlhabenden Familien für mehr Geld unterrichtet. Nach einer Tasse Tee machen wir uns auf den Weg und folgen den Ghats entlang dem Ganges in Richtung Innenstadt. Nach ein paar Schritten wird uns zu heiss, und wir lassen uns mit einem Boot entlang der Terrassen fahren. So beobachten wir das Verbrennungsritual der Toten von der Wasserseite aus und lassen uns an den verschiedenen Ghats vorbeifahren. Eine Kremierung direkt am Ganges in Varanasi kostet umgerechnet rund 2.000 CHF. Ein Betrag, den sich die wenigsten Inder leisten können, und doch brennen die Feuer Tag und Nacht. Rund 100 Menschen werden hier täglich kremiert.

 

Kaum wieder festen Boden unter den Füssen, setzen wir uns auf eine Treppe und beobachten die Gläubigen beim Baden. Zurück kämpfen wir uns durch unglaubliche Menschenmassen, die alle zum Ghat der Verbrennung wollen. Uns sind das zu viele Menschen, und wir schnappen uns ein Tuk Tuk zurück zu unserem Stellplatz und lassen den traurigen Tag ausklingen.

 

Nach einem intensiven Krafttraining am nächsten Morgen im öffentlichen Fitnessstudio am Ganges, vertrödeln wir den regenreichen Morgen im Auto und beschliessen, uns eine Ayurvedamassage zu gönnen. Gut gelaunt hüpfen wir über und durch die Pfützen, bis wir einen Tuk Tuk-Fahrer finden, der uns hupend durch die Stadt fährt. Nach fast 2 Stunden wohltuender Öl- und Kräutermassage verlassen wir glitschig den Salon. Das unterhaltsame Abendessen in der Stiftung, zu dem wir eingeladen sind, ist eine herrliche Abwechslung. Die philosophischen Gespräche sind lehrreich, interessant und spannend. Es ist schön, in solcher Gesellschaft, in netter Umgebung und bei gutem Essen den Tag ausklingen zu lassen.


Machtspielchen mit der Polizei

Unerwarteterweise legen wir die 300 Kilometer in Richtung Sonauli in einem Zug zurück und finden kurz vor der Grenze zu Nepal einen idealen Nachtplatz. Völlig erschöpft und bereits in Schlafkleidung, klopft es an der Tür. Warum die Polizei irgendwie immer weiss, wenn wir nicht angemessen gekleidet sind, bleibt ein Rätsel. Wie dem auch sei, sie stehen vor der Tür, bewaffnet, und wir müssen beide nach draussen treten. Das übliche Spiel beginnt. Hier sei es gefährlich, und wir müssten gehen. Dani weigert sich hartnäckig, stellt sich betrunken und torkelt im Dunkeln herum, lallt sogar. Ich stehe etwas unschlüssig da und weiss nicht, ob ich lachen oder mich aufregen soll. Dani bleibt standhaft und besteht darauf, dass einer von ihnen den Lastwagen an die Grenze fährt.

 

Die Männer sind mit der Situation überfordert. Der Chef muss her. Nun stehen fünf Polizisten vor der Tür und reden auf Dani ein. Sie fordern umgerechnet 50 CHF für den Fahrer. Wir bezahlen schliesslich 5 Euro und lassen es vertraglich festhalten, dass er für jegliche Schäden haftet.

Wie erwartet, finden sie keinen Fahrer. Männliche Machtspielchen? Schliesslich ist es so weit, Täräää! Dani setzt sich durch, und wir bekommen zwei Polizisten als Schutz und dürfen bleiben.

Grenze mitten im Dorf

Nach einer erholsamen Nacht wird ausgiebig gefrühstückt. Ich benötige stets eine komplette Magenfüllung, bevor ich zur Grenze aufbreche, denn ansonsten bin ich zu gereizt. Genauso wie das Indien, das ich kennengelernt und lieben gelernt habe, präsentiert sich auch der Grenzübergang: chaotisch, laut und amüsant. Die Grenze verläuft mitten durch das Dorf. Im ersten Gebäude erhalten wir gemeinsam mit einer Gruppe von Südkoreanern mit Gesichtsschutz unseren Ausreisestempel. Etwa 200 Meter weiter, zwischen dem Gemüsehändler und der Fahrradwerkstatt, finden wir mit Unterstützung das Zollamt. Hier erhalten wir den Stempel für das Carnet de Passage, womit auch der Unimog ausgereist ist.

 

Das Auto steht auf schlammigem Untergrund, und die Zollbeamten möchten noch gern in die Wohnbox schauen. Das steht ihnen zu, aber ich bestehe darauf, dass die Schuhe ausgezogen werden – und das respektieren sie. Daraufhin verlieren sie unverzüglich das Interesse an einer Inspektion.

 

Ein unscheinbares Tor mitten im Dorf markiert die Grenze zu Nepal, wo die Organisation nicht besser ist. Die Behörden für Ein- und Ausreise sowie Zoll sind im ganzen Dorf verstreut. Wer sucht oder fragt, der findet alles, was er benötigt. So nutzen wir die Zeit, um gleich zwei SIM-Karten zu erwerben und Bargeld am Geldautomaten abzuheben.

 

Alles wird freundlich für uns abgestempelt. Doch halt, ein Stempel für das Carnet de Passage ist in der Stempelbox des Beamten nicht zu finden. Vielleicht im Schrank im Nebenzimmer? Fehlanzeige! Nach erneutem Durchsuchen der Kunststoffbox ist noch immer nichts zu finden. Vielleicht ist er bei unseren verlorenen Sachen im Zwischenuniversum? Die Chefin wird hinzugezogen. Doch auch sie kann das Teil weder in der Box noch im Schrank finden. Wortlos verschwindet sie, mit einer Handbewegung fordert sie uns zur Geduld auf. Wenige Minuten später erscheint sie mit einem breiten Lächeln und dem Stempel in der Hand wieder. Alle Dokumente sind gestempelt und unterschrieben – wir können weiterfahren. Keine Kontrolle, nichts – Nepal, wir kommen.

Dies und das

  • Masken werden im tibetischen Buddhismus benützt, um unerwünschte Einflüsse oder Wesenheiten fernzuhalten. Sie beschützen die Familie unteranderem vor bösen Geistern. Es gibt eine Vielzahl von gruslig wild und furchteinflössende Gottheiten, die aber allesamt aber nur Beschützen. Die Masken haben oft schreckliche Zähne, eine hervorsehend Zunge, flammende Nasenlöcher, hervorquellende Augen und ein drittes Auge. Sie stellen den Triumph des Buddhismus über die Dämonen dar.
  • Die Buddhistische Lehre (Dharma) ist hier weitverbreitet, spürbar und die Tibeter sind herzliche, fröhliche Menschen. 
  • Nebst den Tänzen der Lamas erklingt Musik. Zu den tibetischen Blasinstrumenten gehört die Langhorntrompete, die Knochentrompete sowie das Schneckenhorn.
  • Ein verstobener Hindu wird am selben Tag des Todes verbrannt zwischen Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Sollte er nach Sonnenuntergang sterben so wird er bei Sonnenaufgang verbrannt. Nur Kinder unter 5, Schwangere, Vergiftete (Schlangenbiss) oder Priester werden begraben. Die Zeremonie des Verbrennens beinhaltet auch wieder die 5 Element und dauert 12 Tage. Am 13 Tag wird etwas Asche gesammelt und in den Ganges gegeben. Der Ganges, so der Glaube, führt zum Himmel und wieder zurück zur Erde. (Reinkarnation). 
  • Eine Hochzeit, die 5 Tage dauert, wie auch eine Beerdigung kann eine Familie in den finanziellen Ruin treiben. Da die Inder aber ihr Gesicht wahren möchten, zeigen sie einen Reichtum, der vielleicht gar nicht vorhanden ist. 

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