Blog #33, Marlene (Juni 2024, Tibet - China)
Volksrepublik China:
Mit mehr als 1,4 Milliarden Einwohnern ist China nach Indien das zweitbevölkerungsreichste und flächenmässig das drittgrösste Land der Erde. Gemäss Verfassung ist die Volksrepublik eine «demokratische Diktatur des Volkes», wird jedoch faktisch von der Kommunistischen Partei Chinas regiert, die als autoritär bis totalitär gilt. Die Regierung sieht sich Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. China zählt zu den offiziellen Atommächten und erstreckt sich von der nördlichen Grenze zu Sibirien bis zum südlichen Ende der Insel Hainan. Im Osten grenzt das Land an das Gelbe Meer sowie das Ostchinesische und das Südchinesische Meer.
Tibet:
Obwohl Tibet bis 1959 eine eigene Regierung hatte, stand es seit der Invasion durch die Volksbefreiungsarmee 1950 faktisch unter chinesischer Herrschaft. Der tibetische Aufstand im März 1959 führte nicht zum Erfolg. Die Volksbefreiungsarmee sicherte den Verbleib Tibets bei China, wobei 86'000 Tibeter und 2'000 Chinesen ihr Leben verloren. Link: https://de.wikipedia.org/wiki/Tibetaufstand_1959
Die traditionelle Kleidung der Tibeter erinnert an die der indigenen Völker Amerikas (früher als Indianer bezeichnet). Auch die Gesichtszüge und die langen geflochtenen Zöpfe wecken Assoziationen an Winnetou und seine Freunde.
In Rasuwa Gadhi, etwa 5 km vor der chinesischen Grenze, treffen wir uns mit den anderen Reiseteilnehmern. Eine bunt gemischte Truppe aus Frankreich, Deutschland, Holland, Italien, Kanada und Sambia, im Alter zwischen 25 und 65 Jahren, hat sich hier versammelt. Sie alle haben unterschiedliche Fahrzeuge und verschiedene Motivationen, diese Reise zu unternehmen. Es ist spannend, andere Reisende zu treffen und sich über deren Einstellung, Erfahrungen und Reiseziele auszutauschen.
Lili und Aire sind mit dem Fahrrad unterwegs und auf einen Transport angewiesen. Sie fahren bei Chris aus Deutschland im Wohnmobil mit. Hans aus Sambia nimmt in seinem kleinen Toyota den Guide mit. Gwen und Lo aus Frankreich reisen mit einem Van, zwei Katzen und einem Deutschen Schäferhund. Ilario aus Italien ist seit sieben Jahren mit seiner 60-jährigen Vespa auf Weltreise.
Insgesamt sind wir 14 Personen mit acht verschiedenen Fahrzeugen: zwei Motorräder, fünf Camper und ein Auto. Auf dem Campingplatz in Syabru Bensi versammeln wir uns und warten auf den Startschuss. Unser Guide Tenzing wird uns am nächsten Morgen auf der chinesischen Seite erwarten.
Die 4000 Kilometer, die vor uns liegen, müssen wir in 15 Tagen zurücklegen, unabhängig davon, ob wir das Land mit oder ohne Fahrzeug verlassen können. Nach 15 Tagen ist Schluss. Dani und ich sind gespannt, wie wir uns in die Gruppe einfügen und wie sich das Abenteuer entwickeln wird. Gruppenreisen sind generell nicht unser Ding, und bei 14 Personen kann in 15 Tagen so einiges passieren. Wir sind bereit für den Start.
Nepals Beamte zeigen sich flexibel und stempeln unsere Pässe sowie Zolldokumente bereits einen Tag früher aus. Dadurch können wir zügig über die Friedensbrücke nach China einreisen. Unser Reisebegleiter Tenzin nummeriert uns durch und fordert uns auf, unser vorbereitetes Gepäck auf einen Haufen zu legen. Vorab werden wir informiert, dass das gesamte Gepäck im Fahrzeug geröntgt werden muss.
Nun stellt sich die Frage: Was gilt als Gepäck und was gehört als Ausrüstung zum Fahrzeug? Müssen wir das gesamte Fahrzeug ausräumen und alle Gegenstände auf das Band des Röntgengeräts legen? Das würde Stunden dauern! Wir beschliessen, die Frage selbst zu beantworten und packen unsere beiden Rucksäcke sowie eine Reisetasche mit Kleidern und Schuhen. So bestimmen wir selbst, was als Gepäck gilt.
Mit unserem Gepäck stellen wir uns in die menschenleere Halle, vor den Schalter für die Migration, beobachtet von zwei Dutzend Kameras. Chris aus Deutschland ist vor uns, übergibt seinen Pass dem Beamten und folgt den Anweisungen der Stimme aus den Lautsprechern – auf Deutsch! Zuerst die Daumen, dann die restlichen Finger auf den Scanner legen, in die Kamera schauen und den Pass mit dem chinesischen Stempel entgegennehmen. Wir fragen uns, in welcher Sprache das System mit uns sprechen wird. Deutsch, Französisch oder Italienisch? Die Aufgabe scheint selbst für die Chinesen zu schwierig – das System spricht Englisch mit uns.
Wir sind offiziell die erste Gruppe, die mit Tieren einreisen darf. Die Beamten sind offensichtlich mit dem neuen Papierkram überfordert. Am selben Schalter, an dem die Dokumente der Tiere geprüft werden, wird das Gepäck geröntgt. Die Tiere sind offenbar interessanter, das Gepäck prüft niemand. Wir sind drin!
Aber das Fahrzeug noch nicht. Dani muss ohne Gepäck zurück zum Eingang, um das Fahrzeug an die Kontrollstelle zu fahren. Alle Fahrzeuge werden in Reih und Glied aufgestellt und fahren nacheinander durch die Kontrolle. Der Unimog ist an der Spitze. Der Beamte öffnet die Fahrertür, schaut in die Fahrerkabine, nickt Dani wohlwollend zu und geht weiter. War’s das schon? Dani steigt ein und fährt auf den grossen Parkplatz. So unkompliziert sind wir selten über eine Grenze gekommen.
Weiter geht es im Konvoi 1000 Höhenmeter und nur 25 Kilometer weiter nach Gyrong. In China fahren wir nach über einem Jahr wieder auf der rechten Seite. Wir müssen uns zuerst wieder an den Rechtsverkehr gewöhnen. Dani zieht es öfter mal wieder auf die linke Seite.
In der gespenstisch leeren Stadt müssen wir zwingend im Hotel übernachten. In der Region Tibet gelten strikte Regeln, die wir alle befolgen müssen. Durch Zufall entdecken wir am Abend einen kleinen Markt und decken uns mit chinesischen Leckereien ein. Das Sortiment an Speisen hat sich stark verändert. Bei den meisten Angeboten wissen wir gar nicht, was es ist. Wir kaufen bekanntes und speisen im Fahrzeug, was erlaubt ist, und schlendern danach gemütlich ins Hotel. Eine weise Entscheidung, denn zwei Gruppenmitglieder erleiden eine Lebensmittelvergiftung nach dem ersten Besuch in einem chinesischen Restaurant. Zu dem Zeitpunkt wissen sie es aber noch nicht.
Wir fahren nun auf der Route G318. Der Sichuan-Tibet Highway wurde 1950 gebaut und galt damals als eine der gefährlichsten Strassen der Welt. Diese Strasse hat zudem einen Zugang nach Tibet eröffnet und was damals geschah, wissen wir alle.
Diese Route ist während der Sommerferien bei den Chinesen äusserst beliebt. Man trifft sie einzeln oder in grossen Gruppen mit Campern oder Geländefahrzeugen. Auf jeder Heckscheibe prangt eine Karte mit der Strecke und ein Aufkleber mit der Nummer 318, die signalisiert, dass sie Abenteurer sind und auf der legendären G318 unterwegs sind.
Es um 08:00 Uhr los. Wir dürfen frei fahren und treffen uns jeweils vor den Checkpoints, die wir gemeinsam passieren müssen. Die Fahrt gestaltet sich abwechslungsreich und die Strassen sind in einem guten Zustand, sodass wir zügig vorankommen. Über endlose Passstrassen mit vielen engen Haarnadelkurven klettert unser Unimog stoisch über den Ghong Thang La auf 5236m und den Gawu La / Pang La Pass auf 5205m. Das Glück ist uns hold und wir können in der Ferne den Mt. Everest (chinesischer Name: Qomolangma) sehen.
Eine beeindruckende Szenerie entfaltet sich vor uns, der Everest umrahmt von Mt. Lhotse (8516m) und Mt. Makalu (8485m). Von den insgesamt vierzehn Achttausendern haben wir nun neun mit eigenen Augen gesehen. Keinen davon bestiegen, denn dafür reichen unser Budget und Lungenvolumen nicht. Ausserdem wäre es nicht unser Ding, was am Everest auf der Nepalseite abgeht.
In dieser Nacht dürfen wir im Auto übernachten. Dani hat sich entschieden, am Morgen mit dem offiziellen Touristenbus noch etwas näher an den höchsten Berg der Welt zu fahren. Ich bleibe im „Daheim“ und geniesse für zwei Stunden die Zeit für mich allein.
Am nächsten Tag passiert es: Das Fahrzeug des französischen Pärchens hat eine Panne. Die Kupplung funktioniert nicht mehr. Die Weiterfahrt ist unmöglich. So ein Pech, und die beiden kämpfen zudem mit der Lebensmittelvergiftung vom Vortag. Zufälligerweise fährt ein Tieflader vorbei, den sie anhalten können.
Sie sind nicht allein, zwei weitere Fahrzeuge aus unserer Gruppe können beim Verladen helfen. Der Fiat Ducato wird mit einem Ratschen-Spanngurt von Hand auf die Brücke gezogen. Bei drückender Sonne auf 5000m dauert die Tortur über zwei Stunden.
Das Problem ist nun, dass wir nur als Gruppe weiterfahren können. Mal sehen, wie es hier weitergeht, denn sie haben zwei Katzen und einen deutschen Schäferhund dabei. Wo werden wir ihr Gepäck, sie und die Tiere wohl für die Weiterfahrt zum Hotel unterbringen?
Nach etlichen Stunden Verspätung sind wir endlich wieder unterwegs. Aire sitzt vorne bei Dani im Unimog mit zwei Katzen in einer Tasche auf den Knien. Gwen, die Kranke, liegt bei mir hinten auf Kissen gepolstert am Boden.
Es ist schon dunkel, wir erreichen das Hotel in Shigatse und freuen uns auf eine warme Dusche. Es scheint, als ob Rauchen hier in den Hotelzimmern erlaubt ist, denn es riecht danach. Die ersten beiden Zimmer haben wir abgelehnt und ein rauchfreies Zimmer gefordert. Nun sitzen wir in einer riesigen Suite, die nicht so stark stinkt.
Der aktuelle Stromausfall lässt die Hotelgänge gespenstisch dunkel erscheinen. Im düsteren Flur hatten wir eine seltsame Begegnung mit einem älteren Herrn, der nur in Unterwäsche im Dunkeln umherirrte. Dabei muss ich spontan an den Film „Shining“ denken. Jede Zimmernummer beginnt, egal in welchem Stockwerk, mit einer 8. Also zum Beispiel 8235 - 8 ist die Glückszahl, 2 das Stockwerk und 35 die Zimmernummer. Alle WIFI-Passwörter lauten 88888888. Soll ich mir eine liegende 8 tätowieren lassen? Platz hätte ich noch. So ein Unendlichkeitssymbol wäre doch schick.
Buffets sind eigentlich nicht so unser Ding. Als wir am Morgen den Frühstücksraum betreten, erwartet uns allerdings ein riesiges Frühstücksbuffet. Begeistert wie kleine Kinder machen wir uns daran, die verschiedenen Schüsseln mit unbekannten Speisen zu erkunden und uns den Inhalt grosszügig auf die grossen Teller zu schöpfen.
Einige aus unserer Gruppe setzen sich zu uns, um eine Lösung für das aktuelle Problem mit dem Fahrzeug in Lhasa zu finden. Wir glauben, dass die Agentur sich um die Angelegenheit kümmern sollte, da wir uns hier nicht auskennen und nur wenige Tibeter Englisch sprechen. Die Stimmung ist angespannt. Wir ziehen uns zurück und beobachten. Wir sind uns bewusst, dass eine Reise durch China ohne eine Gruppe nicht möglich ist.
Bevor wir in Richtung Lhasa, dem eigentlichen Höhepunkt unserer Tour, aufbrechen, müssen wir in Shigatse noch zum Strassenverkehrsamt. Es ist grundsätzlich verboten, mit ausländischen Fahrzeugen durch China zu fahren. Es gibt jedoch einen Weg, das zu umgehen. Wir erhalten ein chinesisches Nummernschild sowie chinesische Fahrzeugpapiere. So können wir legal durch China reisen. Unser Guide unterstützt uns tatkräftig bei all den administrativen Schritten.
Früher mussten die Fahrzeuge gründlich geprüft werden und die Fahrer eine Fahrprüfung ablegen. Zum Glück ist das heutzutage nicht mehr der Fall. Es handelt sich lediglich um einen formellen Ablauf, den wir durchlaufen müssen. Stunden später liegen alle notwendigen Dokumente vor.
Der Teamgeist ist schlecht, alles zieht sich hin und die Stimmung ist etwas gereizt. Wir fühlen uns in unserer Meinung bestätigt, dass das Reisen alleine eher unser Ding ist. Dennoch haben wir auch schon aufregende Wochen mit inspirierenden Menschen verbracht.
Die Nachricht, dass das Auto von Lau und Gwen nicht repariert werden kann und per Tieflader nach Laos geschickt werden muss, drückt die Stimmung zusätzlich. Wir verladen unser Auto mit einem Hund und drei zusätzlichen Passagieren und machen uns überfüllt auf den Weg nach Lhasa. Ich bin gespannt, wie sich die Atmosphäre weiterentwickelt. Wir vertreiben uns die Wartezeit mit Bloggen, Autopflege und Vorkochen. Es scheint, als würden wir wieder spät ankommen.
Die Sonne senkt sich am Horizont und verschwindet kurz darauf, als wir in Lhasa eintreffen. Müde legen wir uns nach dem Essen gleich auf die Kissen im Auto auf dem Hotelparkplatz. Abgesehen vom Everest und der vorbeiziehenden Landschaft haben wir vom Land eigentlich noch nichts gesehen. Aber morgen steht uns ein erster Ruhetag bevor.
Lhasa, die Hauptstadt des Autonomen Gebiets Tibet in der Volksrepublik China, hat bis heute eine grosse religiöse Bedeutung und ist Heimat vieler Mönche. Im Jahr 1950 zählte die Stadt lediglich etwa 20.000 Einwohner und rund 15.000 Mönche auf einem Areal von nur 3 km². Heute leben etwa 1 Million Menschen in Lhasa und seiner Umgebung.
Unser Tag beginnt früh und wir joggen zum beeindruckenden Potala-Palast, während wir die Gassen der Altstadt bewundern. Fasziniert stehen wir vor dem Palast, einer der bedeutendsten Sehenswürdigkeiten, die majestätisch in die Hügelkulisse eingefügt ist. Die Chinesische Flagge weht präsent über dem Prachtpalast. Wie müssen sich die Tibeter bei diesem Anblick wohl fühlen?
Mit nur 4 Jahren bestieg der junge Tenzin Gyatso den Thron und wurde der spirituelle Führer der Buddhisten, bekannt als der Dalai-Lama. Von 1946 bis 1950 lebte der österreichische Bergsteiger Heinrich Harrer in Lhasa und schloss Freundschaft mit dem jungen Dalai-Lama. Viele von uns erinnern sich an den Film „Sieben Jahre in Tibet“, nicht zuletzt wegen Brad Pitt! Doch die immer drückendere Bedrohung durch China zwang den Dalai-Lama zur Flucht nach Indien ins Exil.
Es herrscht reges Treiben in der Stadt und wunderhübsch traditionell gekleidete Tibeter bewegen sich durch die Altstadt. Viele von ihnen haben Gebetsmühlen in der Hand und murmeln Mantras, während sie ihre Runden drehen. Unerwartet überrascht uns die erlebte Tradition, und wir drehen unsere Blicke in alle Richtungen. Zahlreiche Mönche sind unterwegs, und wir sind verzaubert von der Szenerie.
Nach der Dusche und einem schnellen Frühstück, das am Buffet leider nicht reichhaltig ausfällt, fällt uns besonders auf, dass viele Frauen Gesichter komplett weiss geschminkt sind. Diese Praxis erinnert uns an die Geishas in Japan. Wir erfahren, dass dies sowohl als Schutz vor der Sonne dient als auch ein Schönheitsideal darstellt. In bestimmten religiösen Ritualen symbolisiert die weisse Farbe Reinheit.
Viele Chinesen tragen Masken oder einen komplette Gesichtsschutz, um sich vor Sonne, Viren und Luftverschmutzung zu schützen. In einer überwachten Gesellschaft bieten diese Masken zudem Schutz der Identität. Selbst in der Altstadt sind an fast jeder Strassenecke Kameras zu sehen, und es gibt nur wenige Orte, die nicht überwacht sind. Die Polizei ist an den touristischen Hotspots stark präsent, und an kritischen Punkten gibt es Kontrollstellen, an denen alle Passanten und deren Taschen überprüft werden.
Später machen wir uns gemeinsam mit Tenzin, unserem tibetischen Reiseleiter, und einem Teil der Gruppe auf den Weg zum bedeutenden Jokhang-Tempel. Wir werden Zeugen zahlreicher Gläubiger, die sich auf den Boden werfen. Diese Gläubigen kommen aus allen Himmelsrichtungen an diesen heiligen Ort und beten oft mit anstrengenden Bewegungen, viele Kilometer auf vielbefahrenen Strassen zurücklegend, während sie unzählige Verbeugungen machen.
Diese Form der Fortbewegung, bekannt als „Niederwerfung“ oder „Prostration“, ist ein Ausdruck tiefer Hingabe und Demut gegenüber dem Buddhismus und den spirituellen Lehrern. Es ist ein Weg, das eigene Ego zu überwinden und spirituelle Verdienste zu erlangen. Viele Pilger führen dieses Ritual durch, während sie auf dem Weg zu heiligen Stätten oder Tempeln sind, wie zum Beispiel nach Lhasa. Die Anstrengung und Hingabe, die auf dieser Reise investiert werden, sind Teil des spirituellen Weges und der Suche nach Erleuchtung.
Die wunderschönen Gassen der Altstadt sind inzwischen stark frequentiert. Die Tibeter bewegen sich immer noch, wie bereits um sechs Uhr morgens, mit ihren Gebetsmühlen umher. Wer keine Mühle dreht, lässt Malas, die Gebetsketten, durch seine Hände gleiten. Diese Malas bestehen aus 108 Perlen und einer zusätzlichen grösseren Perle. Normalerweise werden sie aus Naturmaterialien wie Nussfrüchten oder Palmholz gefertigt und dienen zum Zählen der Wiederholungen bei der Rezitation eines Mantras. Jede Perle steht für eine Wiederholung und wird während der Rezitation mit dem Daumen im Uhrzeigersinn gedreht.
Den Abend lassen wir bei einem köstlichen Gruppenessen in lockerer, unterhaltsamer Atmosphäre ausklingen. Auf dem Heimweg decken wir uns noch mit Esswaren ein, um für die kommenden Tage gerüstet zu sein.
Viele Kilometer auf der Autobahn abarbeiten und endlich frühes Ankommen im Hotel. Schlafen im Auto vor dem Hotel ist möglich. Landschaftlich sehen wir ausser Teer nicht sehr viel. Gibt nichts Spannendes zu berichten.
Wir verbringen 13 Stunden im Auto. Die Reise gestaltet sich als äusserst mühsam, und endlose Staus machen uns das Vorankommen schwer. Als wir den Unfall sehen, der den Rückstau verursacht hat, sind wir froh, „nur“ im Stau zu stehen. Ein unschöner Anblick. Kurz vor unserem Ziel kommt es noch zu einer Berührung mit einem Lastwagen. Unsere Box zeigt nun wenig ansehnliche schwarze Streifen. Auf den ersten Blick scheint jedoch nichts Grösseres passiert zu sein. Endlich erreichen wir einen wirklich schönen Schlafplatz am Ranwusee. Es ist erfrischend, nicht auf dem Hotelparkplatz zu übernachten. Doch wir sind so erschöpft, dass wir nach dem Essen nur noch ins Bett fallen.
Wir passieren drei beeindruckende Pässe: Zuerst den Anjiula mit seinen 72 Haarnadelkurven auf 4325 Metern, gefolgt vom Duola Pass auf 3275 Metern. Der krönende Abschluss des Tages ist der Yela Pass, der sich majestätisch auf 4658 Metern erhebt. Die Route windet sich entlang des malerischen Nujiang-Flusses. Bis 40 Kilometer vor unserem Ziel kommen wir wirklich gut voran. Plötzlich erfahren wir, dass die Strasse für zwei Stunden wegen Wartungsarbeiten gesperrt ist. Ich nutze diese Zeit, um unseren Blog zu aktualisieren, während Dani aufmerksam am Steuer bleibt. Ich werde auch noch schnell etwas vorkochen, damit wir bei unserer Ankunft sofort durchstarten können. Auf diesem anstrengendem Transit ist Timing alles.
Unsere Reise verläuft nahezu ohne nennenswerte Zwischenfälle. Es gilt erneut, drei beeindruckende Pässe zu überqueren: den Dangdashan, der mit seinen 5130 Metern die Wolken streift, den Juebashan auf 3911 Metern und den majestätischen Lawushan Pass, der stolze 4376 Meter in den Himmel ragt. Die Landschaft entfaltet sich in atemberaubender Pracht vor unseren Augen, während wir unzählige Erinnerungen aus dem Auto festhalten. An den Pässen können wir den Motor nicht abstellen, da das Kühlwasser so heiss brodelt, dass es über den Überlauf auf die Strasse spritzt. So versuchen wir vorsichtig, während wir langsam fahren, aus dem Fenster heraus Fotos zu machen und füllen regelmässig Wasser nach.
In einem Dorf namens Gongbudui weicht die Architektur und der Zustand der Häuser drastisch vom Gewohnten ab. Farbige, frisch renovierte Gebäude ziehen die Blicke auf sich und erscheinen fast identisch bemalt. Wir halten an und nehmen unsere Kamera mit. Über jedem Haus weht die Chinesische Flagge. Später erfahren wir, dass es sich hierbei um ein nach chinesischer Gründlichkeit für Touristen neu gestaltetes Resort-Dorf handelt, in dem tatsächlich Bauern leben und arbeiten. Vermutlich handelt es sich um systemtreue Tibeter.
Heute verlassen wir die historische 318 Route und setzen unsere Reise auf der G214 fort. Kaum von der alten Strasse abgekommen, spüren wir einen deutlichen Rückgang des Verkehrs; Baustellen sind nahezu nicht mehr vorhanden. Es scheint, als hätten wir die herausforderndsten Abschnitte hinter uns gelassen. Die Fahrt ist einfach traumhaft und führt uns über den Honglashan Pass auf 4200 Meter. Der Höhepunkt des Tages erwartet uns tief in der Schlucht, wo der mächtige, braune Mekong vor uns liegt. In Tibet, dass wir heute hinter uns lassen, trägt der Fluss den Namen Dz a Chu, während ihn die Chinesen Lancang Jiang nennen. Mit einer Länge von 5000 Kilometern ist er der zwölftlängste Fluss der Welt. Seine Wasser durchqueren China, Myanmar, Laos, Thailand, Kambodscha und münden schliesslich in Vietnam.
Da wir bereits um zwei Uhr an unserem Stellplatz ankommen, nutzen wir die freie Zeit, um die Umgebung ein wenig zu erkunden. Der Spaziergang führt uns durch eine zauberhafte Baumlandschaft, und die ersten Schritte sind mit bunten buddhistischen Gebetsfahnen geschmückt. Es ist erfrischend, die saubere Luft einzuatmen und den Kopf freizubekommen. Leider haben wir keine Feen oder Zwerge gesichtet.
Zurück am Stellplatz nehme ich meine violette Yogamatte unter den Arm und suche einen versteckten, flachen Platz mitten in den vielen im Wind wehendenden Gebetsfahnen. Das Yoga kann ich in vollen Zügen geniessen, auch wenn der Regen einsetzt. Eine Yogini ist da nicht so anspruchsvoll 😊.
Der letzte hohe Pass liegt nun hinter uns, und wir sind erleichtert, die restlichen 1000 Kilometer auf teuren leeren Autobahnen zurücklegen zu können. Unsere Route führt uns entlang des Jinsha River, und selbst bei dem nebelverhangenen Himmel können wir die Kurve um einen Felsen gut erkennen. Der Jangtse, wie er auch genannt wird, ist mit einer Länge von 6300 Kilometern der längste Fluss Chinas und nach dem Nil sowie dem Amazonas der drittlängste der Welt.
In der Ferne bewundern wir den Tempel des Songzajnlin Klosters und freuen uns auf unseren Ruhetag morgen. Das Städtchen Shangri-La lassen wir links liegen; alle, die das Buch, das ich wärmstens empfehle, gelesen haben, können meine Wehmut bei diesem Namen verstehen. Shangri-La ist ein fiktiver Ort im Tibet, der aus dem im Jahr 1933 veröffentlichten Buch «Lost Horizon» des englischen Autors James Hilton stammt. Shangri-La steht synonym für das Paradies auf Erden und ist ein Mythos, eine Utopie. Das neue Shangri-La liegt auf etwa 3000 Metern und befindet sich an der Tee- und Pferdehandelsroute. Am frühen Nachmittag erreichen wir unser Ziel und machen noch eine Runde mit dem Fahrrad.
Die Provinz Yunnan, in der wir uns nun befinden, unterscheidet sich stark vom Tibet. Hier fühlen wir uns wirklich in China angekommen. Die Häuser entsprechen genau dem Bild, das man sich von China macht. Wir erkunden ein Altstadtviertel, das an einen Freizeitpark erinnert. Überall gibt es Läden mit uns unbekannten Lebensmitteln. Breite Radwege führen uns entlang kleiner Flüsse zu unserem Zielort. Die Stadt wirkt wie neu erbaut und ist extrem sauber, fast steril. Abgesehen von dem alten Viertel von Lijiang scheint alles frisch renoviert zu sein. Es gibt viele Grünflächen, kleine Bäche und leere Fahrradwege. Hier fährt niemand mehr Rad; alle sind mit Elektro-Motorrädern unterwegs. Die Strassen sind vierspurig in eine Richtung angelegt und der Verkehr ist minimal – das genaue Gegenteil zur Schweiz oder aktueller für uns Indien.
Was uns weniger gut gefällt, sind die unzähligen Überwachungskameras, die überall angebracht sind. In China fühlen wir uns deutlich überwacht.
Endlich können wir wieder etwas Zeit für Sport finden! Nach einem ausgiebigen Brunch schwingen wir uns auf die Fahrräder, um Einkäufe zu erledigen. Alles ist auf Chinesisch beschriftet, und unser Verständnis dafür ist gleich Null. Seit unserer Ankunft in China spricht niemand Englisch – so ist es eben. Wir stöbern neugierig durch die Regale und kaufen viel mehr, als wir benötigen. Aber das ist egal, das meiste wird schon verbraucht werden. «Food waste» kennen wir nicht.
Der Monsun hat uns seit einigen Tagen fest im Griff. So warten wir den heftigsten Schauer ab und radeln dann schnell nach Hause. Alles rasch verstauen und gleich weiter, um den regenfreien Moment zu nutzen! Wir begeben uns in ein älteres Viertel, das deutlich schöner ist, obwohl es auch hier stark touristisch zugeht und jeder Laden zum Konsum verleitet. Nach einer stärkenden Nudelsuppe setzen wir unseren Weg zum Jade-Peak-Tempel fort. Eine ruhige grüne Oase empfängt uns und wir schlendern gemächlich um den See und den kleinen Hügel hinauf, während wir die kulturelle Schönheit Chinas auf uns wirken lassen.
Die Nacht verläuft ruhig, und wir starten ausgeschlafen um 07:00 Uhr den Motor. Auf der Suche nach der Auffahrt zur Autobahn, die hier gut ausgebaut und wenig befahren ist, kommen wir schnell voran. An den Mautstellen gestaltet sich die Registrierung für uns Ausländer jedoch jedes Mal als Herausforderung. Es dauert oft bis zu zehn Minuten, bis all unsere Daten im System der Autobahngesellschaft erfasst sind und wir die grüne, oder besser gesagt türkise Karte erhalten.
Auch beim Verlassen der Autobahn ist es von Mitarbeiter zu Mitarbeiter unterschiedlich. Meistens weiss der Beamte nicht genau, was er mit unserem ungewöhnlichen Fahrzeug und den „Langnasen“ anfangen soll. Glücklicherweise eilen stets hilfsbereite Kollegen herbei, die über Funk verständigt werden. Die Organisation ist gut und die Freundlichkeit, mit der uns begegnet wird, ist beeindruckend. Mit Geduld und einem Lächeln geht es dann doch zügig voran.
Wir fressen Kilometer um Kilometer und legen regelmässig alle zwei Stunden eine Pause ein, um den Fahrer zu wechseln. Dani ist sehr froh, habe auch ich eine chinesische Fahrerlizenz gelöst, so können wir uns die anstrengende Fahrt aufteilen. Unser Reiseveranstalter hat uns die Koordinaten des nächsten Übernachtungsplatzes gegeben. Unser heutiges Etappenziel ist eigentlich Jingdong, aber wir entscheiden uns, die Nacht auf der Autobahn zu verbringen, um uns das mühsame Aus- und Einfahren zu ersparen. Nach Rücksprache mit Bing, unserem chinesischen Kontakt, setzen wir diesen Plan um. So schaffen wir heute sogar 430 Kilometer und übernachten auf einem riesigen Parkplatz direkt an der Autobahn.
Die Raststätten entlang der Autobahn sind gigantisch dimensioniert und alle nach dem gleichen Muster aufgebaut. Das zentrale Gebäude könnte problemlos eine mittlere Shoppingmall beherbergen, doch oft stehen die meisten Flächen leer oder werden bestenfalls von einem kleinen Laden genutzt, der Getränke, Eis und ungesundes Knabberzeug anbietet. Das Gelände ist weitläufig, und wir parken den Unimog so, dass wir keine Geräusche von der Strasse mehr hören.
Die Fahrt ist malerisch. Die teure, aber immer noch fast leere Autobahn führt direkt durch üppige Dschungel und Plantagen. Um uns herum wachsen Tee, Tabak, Kautschukbäume, Drachenfrüchte, Mais und vieles mehr. Überdimensionierte Drohnen fliegen über uns und sprühen Saatgut und Pestizide aus der Luft. Riesige Bambuswälder hängen wie übergrosse, regenbeladene Farnblätter herab. Wir fragen uns, wo wohl die Pandabären sind. Doch die Idylle wird durch zahlreiche monstergrosse Strommasten gestört – ein vertrauter Anblick in China.
Was uns besonders auffällt, sind die unzähligen Elektrofahrzeuge, ob auf zwei oder vier Rädern. Alle sind in tadellosem Zustand und hervorragend gepflegt – ein starker Kontrast zu den Ländern, die wir zuvor bereist haben. Auch die Sauberkeit hier ist bemerkenswert, fast schon übertrieben. Es ist sauberer als die heutige Schweiz.
Am Nachmittag erreichen wir die Stadt Pu'er und finden schliesslich einen Campingplatz. Die Einfahrt ist verschlossen, doch die Ausfahrt steht offen – also nehmen wir einfach diese. Bald hoffen wir, wieder an Orten stehen zu können, wo es uns gefällt, ohne Einschränkungen.
Unseren letzten Abend in China verbringen wir gemeinsam mit Bing, dem Inhaber der Reiseagentur, Tenzin, unserem Guide, und der gesamten Gruppe. Wie schön, dass wir noch zum Abendessen eingeladen sind. Der Abend ist äusserst unterhaltsam, und wir erleben bei der Karaoke ganz neue Seiten einiger Teilnehmer. Ein wunderbarer Abschluss unserer gemeinsamen Reise, die morgen endet.
Anekdote von Bing:
Bing, etwa 30 Jahre alt, ist auf dem Land in einem Dorf ohne Strom aufgewachsen. Als Kind, vor etwa 20 bis 25 Jahren, wanderte er mit seinem älteren Bruder vier Stunden zu Fuss, um die nächste grössere Strasse zu erreichen. Dort erblickte er an einem vorbeifahrenden Lastwagen zum ersten Mal künstliches, elektrisches Licht – ein wahres Highlight für ihn. Es ist kaum vorstellbar, welchen enormen Entwicklungssprung das Land, und auch Bing selbst, in diesen wenigen Jahren gemacht hat.
Nach einer kurzen Nacht brechen wir in der Morgendämmerung in Richtung Grenze bei Mo Han auf. Unterwegs weisen Strassenschilder immer wieder auf Kunming hin. Seit 1982 ist Kunming die chinesische Partnerstadt von Zürich. Trotz gelegentlicher Kritik hält Zürich seit über 40 Jahren an dieser Partnerschaft fest.
Quelle: stadt.zuerich.ch
«Zürichs Städtepartnerschaft mit Kunming ist die älteste und beständigste Partnerschaft zwischen einer chinesischen und einer ausländischen Stadt. In China geniesst die seit 1982 existierende Partnerschaft hohes Ansehen, und auch der Bund anerkennt die Bedeutung dieser privilegierten Beziehungen. Angesichts der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung Kunmings im Zuge der «Belt and Road Initiative» ist eine wirtschaftliche Vernetzung der beiden Städte auch für Zürichs Unternehmen von Interesse.
Was als kultureller Austausch begann, hat sich nach und nach zu einer fachtechnischen Zusammenarbeit entwickelt, primär in den Bereichen Trinkwasser und Abwasserentsorgung. Es folgten Projekte im Bereich der Regional- und Verkehrsplanung sowie des Denkmalschutzes. Resultate dieser Zusammenarbeit sind beispielsweise die verbesserte Trinkwasserversorgung oder die Optimierung des öffentlichen Verkehrs in Kunming. Die stets gemäss nachhaltigen Grundsätzen erarbeiteten Lösungen haben in der Volksrepublik China inzwischen Modellcharakter. Im Kulturbereich fand von 2008 bis 2019 ein regelmässiger Künstleraustausch zwischen Kunming und Zürich statt.»
In Mo Han stehen wir schliesslich in der riesigen Abfertigungshalle der Immigration. Sechs Schalter sind geöffnet, und wir sind die Einzigen. Es könnte also schnell gehen.
Wir zeigen dem Beamten unsere Pässe, doch ausser einem Stirnrunzeln bekommen wir keine Reaktion. Er pfeift Tenzing herbei, gestikuliert und deutet auf seine Dokumentenmappe. Wir müssen die Schalter verlassen, während Tenzing mit einem anderen Beamten in ein Büro verschwindet. Die Ausreise gestaltet sich unerwartet mühsam. Offenbar fehlen unserem Guide wichtige Dokumente, die er bei der Einreise erhalten hatte. Die Diskussion zieht sich in die Länge, und wir warten. Inzwischen hat sich die Empfangshalle mit hunderten Menschen gefüllt, die nach Laos einreisen wollen. Lange Schlangen bilden sich hinter den Schaltern. Es wäre doch so einfach gewesen!
Nach einer gefühlten weiteren Stunde dürfen wir endlich weiter – allerdings nur, um uns hinten in der langen Schlange anzustellen und unsere Geduld erneut auf die Probe zu stellen.
Die Einreise nach Laos verläuft hingegen äusserst unkompliziert. Das «On-Arrival»-Visum wird rasch ausgestellt. Nach dem Ausfüllen und Bezahlen des TIP (Temporary Import Permit) für den Unimog sind wir im Handumdrehen in Laos. Wir verabschieden uns hastig von allen und brechen auf – in ein neues Abenteuer zu Zweit.
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