Blog #44, Marlene (August 2025 Paraguay)

Paraguay?

«Da gibt’s nichts zu sehen. Sagen sie. Gut so denken wir, wir erkundigen gerne nichts.»

 

 

Autor: Marlene

Einige Fakten über Paraguay

Paraguay ist eine republikanische Demokratie mit Präsident, Parlament und Gerichten – zumindest auf dem Papier. In der Realität bestimmen Vetternwirtschaft, Korruption und Ungerechtigkeit vieles mit. Und doch: Irgendwie funktioniertes.

 

Die Hauptstadt heisst Asunción – schon mal gehört? Etwa sieben Millionen Menschen leben im Land, auf einer Fläche, die etwas grösser ist als Deutschland. Paraguay gehört damit zu den am dünnst besiedelten Ländern Südamerikas. Wie die Schweiz ist es ein Binnenland. Gezahlt wird in Guaraní – eine heute erstaunlich stabile Währung. Wir werden im Nu zu Millionären: 1 CHF entspricht rund 9000 PYG.

 

Amtssprachen sind Spanisch und Guaraní, die indigene Sprache. Rund 90 % der Bevölkerung sprechen Guaraní – es ist Herz, Identität und Alltag. Die restlichen 10 %? Vermutlich die europäischen Einwanderer 😊. Paraguay gehört zu den am wenigsten besuchten Ländern Südamerikas.

 

Die traditionellen Guaraní-Völker leben oft in den Wäldern und glauben, dass alles Lebendige beseelt ist. Pajes – spirituelle Heiler oder Schamanen – haben eine wichtige Rolle. Doch auch hier sind die Indigenen arm, kämpfen um Landrechte und stehen vor grossen Herausforderungen.

 

Klassische Rohstoffe gibt es kaum: kein Öl, kein Gold, kein Kupfer. Dafür ist das Land reich an Wasser – mit dem Guaraní-Aquifer, einem der grössten Trinkwasserreservoirs der Welt. Zudem besitzt Paraguay einen Anteil am gewaltigen Itaipú-Staudamm.

Ciudad del Este – Einkaufsparadies am Paraná

Direkt hinter der Grenze liegt Ciudad del Este – Shoppen hier ist fast ein kleines Abenteuer im «Asien-Style». Wir bahnen uns einen Weg durchs Chaos, parken den Unimog, wechseln Geld – und schwupps, sind wir Millionäre. 

 

Die Stadt ist ein quirliges Einkaufsparadies, «haben wir nicht, gibt’s nicht». Elektronikläden reihen sich an Handyshops, Tablets, Zubehör und «Markenkleidung» in jeder Variante. Auch kulinarisch verhungert hier niemand.

 

Wir sind auf der Suche nach einem neuen iPad – das alte hatte in Malaysia nach einem hektischen Beinahe-Umkippen endgültig den Geist aufgegeben. Schon im ersten Geschäft werden wir fündig, und eine Stunde später sitzen wir wieder im Auto, bereit, den Basar hinter uns zu lassen. Das Ganze hätte ebenso gut in Bangkok spielen können.

 

Ciudad del Este ist vor allem für Brasilianer ein Magnet: In ihrer Heimat sind die Zölle auf Elektronik und Markenartikel enorm hoch – hier an der Grenze lässt sich das clever umgehen.


Schiesserei in der Nacht

Wir übernachten in einer kleinen Stadt, in einer ruhigen Nebenstrasse – so dachten wir zumindest. Mitten in der Nacht wecken mich Schüsse, ganz in der Nähe. Vorsichtig wage ich einen Blick hinaus, doch im Dunkeln ist nichts zu erkennen. Die Schiesserei dauert Minuten, und ein mulmiges Gefühl macht sich breit. Schlafen in der Nähe des Itaipú-Staudamms ist definitiv nichts für schwache Nerven.

 

Später erfahren wir, dass es entlang des Paranásee rund 300 illegale Fährverbindungen geben soll. Nachts werden hier Waffen, Drogen und allerlei «Zubehör», das man im Baumarkt garantiert nicht findet, von Paraguay nach Brasilien verschifft. Weil das Militär lieber zu viel als zu wenig patrouilliert, kommt es dann eben zu den Gefechten, die wir gehört haben.

 

Als die Sonne endlich Licht ins Dunkel bringt, sind wir erleichtert – und fahren schleunigst zum Besucherparkplatz.

Itaipú – Stromgigant im Dschungel

Zusammen mit Brasilien betrieben, war Itaipú lange das grösste Wasserkraftwerk der Welt – heute liegt der Spitzenplatz, wie könnte es anders sein, in China. Der Name bedeutet auf Guaraní «singender Stein», benannt nach einer Felsformation im Río Paraná, die für das Kraftwerk weichen musste.

 

Itaipú gilt als weltweiter Leader in der Produktion von «clean and renewable energy». Der Damm ist 7,2 Kilometer lang, 196 Meter hoch und deckt 100 % des Strombedarf Paraguays. Mehr Infos gibt’s unter: itaipu.gov.py/turismo.

 

Wir entscheiden uns für die paraguayische Seite – weniger Besucher, persönlicher, ruhiger. Die Führungen sind zwar auf Spanisch, doch das stört uns wenig. Der Betonriese mitten im tropischen Grün flösst nur ein Gefühl ein: «Wow, Wahnsinn!» Hier wird Energie für Millionen erzeugt.

 

Wir haben Glück: Unser Transporter ist fast leer, nur ein junger Paraguayer und sein Freund aus Deutschland sind mit dabei – und übersetz die Tour für uns direkt ins Englische. Ein Glücksfall, der die Besichtigung noch spannender macht. Nach der Führung besuchen uns die beiden sogar noch in unserem rollenden Zuhause.

 

Auf der Weiterfahrt begleitet uns massive Militärpräsenz – kein Wunder nach der unruhigen Nacht zuvor.


Hohenau – ein kleines Stück Deutschland in Paraguay

In Hohenau, einer deutschsprachigen Kolonie im Süden Paraguays, fühlt man sich fast wie in Deutschland. Ob man das nun toll oder eher mässig lässig findet, überlassen wir euch. Die Traditionen der europäischen Einwanderer sind jedenfalls noch heute hör- und spürbar.

 

Wir nutzen unseren Aufenthalt, um uns ein Mückennetz-Haus für unseren «Garten» sowie einen Windstopper anfertigen zu lassen. In Paraguay ist vieles erstaunlich günstig – ein Luxus, den wir uns hier ohne schlechtes Gewissen gönnen. Dani fährt mit Seli, unserem Schweizer Nachbarn, in die Stadt: Das Eingangsmückengitter aus Australien muss neu abgenäht werden, Netzstoff gekauft, ein Hosenreissverschluss ersetzt werden. Ich bleibe mit Ülküm, Selis Frau, am Tisch, schaue mir ihre Reiseberichte durch Südamerika an – und wir feilen gemeinsam an unserer nächsten Route. Am Ende steht eine richtig coole Tour. Und das Beste: Wir sehen tatsächlich Tapire! Wunschliste erfüllt, Punkt für Punkt.

 

Am nächsten Morgen liegen wir halb auf dem Boden, schneiden das Netz zu und fixieren es mit Panzertape, damit Wolly, der Sattler, es sauber nähen kann. Samstagfrüh treffen wir uns in seiner Werkstatt, helfen beim Planen zuschneiden, Ösen setzen, Nähte auftrennen – und drei Stunden später sind beide Projekte fertig. Noch schnell in den Baumarkt, die Hosen abholen, frisches Vollkornbrot und besten Käse kaufen – alles in Deutsch! Abgesehen vom Fondue- und Raclette-Abend hätten wir glatt vergessen können, dass wir mitten in Paraguay sind.

 

Kaum zu glauben: In drei Tagen ist alles erledigt, und wir rollen weiter – in Richtung «Pequeña Bavaria», der nächsten deutschen Werkstatt. Unterwegs dürfen wir auf einer Hazienda übernachten und werden von Herzen verwöhnt. Wir besuchen die Tiere des Hofs, nehmen Eier und Käse in verschiedenen Reifegraden mit – alles hausgemacht. Und hören erneut diese warmen Worte: «Unser Zuhause ist auch euer Zuhause.» Solche Begegnungen sind es, die uns auf dieser Reise immer wieder tief berühren.


Camping «Pequeña Bavaria» – ein kleines Stück Paradies

Für unseren Unimog steht ein Ölwechsel mit Filterersatz an – ein Fall für Chris, den wir hier auf dem Campingplatz kennenlernen. Seine Frau Astrid empfängt uns herzlich, und kaum steigen wir aus dem Auto, klettert mir Looki, der junge Kapuzineraffe, schon auf die Schulter. Oh mein Gott, ist der süss: anhänglich, frech und voller Energie. Alle Tiere hier sind gerettet – aus Käfighaltung, unsachgemässer Pflege oder schlicht von der Strasse aufgelesen.

 

Mich ruft zuerst die Waschmaschine, und ich bin glücklich über eine «richtige» Maschine, die sogar mit heissem Wasser wäscht. Meist drehen hier die Geräte die Wäsche stundenlang in kaltem Wasser – ohne viel Wirkung. Während ich wasche, fährt Dani mit Chris in die nahegelegene Stadt Caacupé, um Ersatzteile zu besorgen.

 

Am nächsten Morgen geht es früh in die Werkstatt. Kaum ist das alte Öl abgelassen, zeigt sich, was wir schon aus dem Iran kennen: zum dritten Mal Metallspäne im Vorgelege. Ein klares Zeichen, dass der Käfig des Kugellagers gebrochen ist. Also Pneu runter, alles auseinandernehmen und lange üben, bis das defekte Lager draussen ist. Das zweite wollen wir ebenfalls ersetzen, doch es klemmt. Also zurück in die Stadt, mit der Presse auspressen lassen, neue Lager einhämmern, Simmerringe einsetzen, alles reinigen, abdichten und die Bremse wieder montieren.

 

Abends sitzen wir erschöpft zusammen, und Astrid verwöhnt uns mit köstlichem, selbstgekochtem indischem Essen – ein wahrer Genuss nach einem öligen Tag. Doch am nächsten Morgen ruft Dani schon: «Scheisse, die Dichtmasse ist nicht hart geworden!» Alles wieder auseinander montieren, dabei sehen wir: ein Simmerring ist verbogen, muss nochmals raus. Abdichtmaterial entfernen, neu reinigen, neu einsetzen. Doch kaum geschafft, bricht das Bremsleitung und Flüssigkeit läuft aus. Also abschrauben, in die Stadt fahren, ein neues anfertigen lassen – in nur einer halben Stunde! Alles wieder zusammenbauen, und diesmal trocknet die Dichtmasse tatsächlich über Nacht.

 

Danke an Chris für den professionellen Support und an Astrid für die herzliche Gastfreundschaft in eurem kleinen Paradies.


San Bernardino – ein Wochenende zwischen Ruhe und Trubel

San Bernardino wurde 1881 von deutschen Einwanderern gegründet, und bis heute sind viele ihrer kulturellen Spuren sichtbar. Idyllisch am Ypacaraí-See gelegen, ist die Stadt seit Jahrzehnten ein beliebtes Ausflugsziel – für Reisende wie auch für Einheimische. Am Ufer reihen sich die Sommerresidenzen der Reichen, die in der Saison zu Schauplätzen mondäner Treffen werden. Jetzt im Winter aber sind nur die Gärtner und Poolreiniger zu sehen.

 

Wir parken direkt am See, ahnend, dass es an einem Freitagabend laut werden könnte. Abends schlendern wir durch die autofreien Gassen, lauschen Livemusik und gönnen uns einen Apéro. Nach den anstrengenden Werkstatttagen wollen wir einfach geniessen. Ein goldbraunes, knuspriges Cordon Bleu mit Pommes und Salat, dazu fluffiger Kaiserschmarrn – danach rollen wir satt und zufrieden heim. Doch um Mitternacht ist es vorbei mit der Idylle: Kofferraumklappen sind geöffnet, aus überdimensionalen Boxen hämmert Musik. Genervt fahren wir weg und finden schliesslich in einem ruhigen Wohngebiet erholsamen Schlaf.

 

Am Samstagmorgen zieht es mich mit dem Rucksack auf den Markt. Ich bin überwältigt vom Angebot: Pumpernickel- und Körnerbrot, verschiedenste Käsesorten, frisches Obst und Gemüse. Schwer bepackt kehre ich zurück. Da wir noch am gleichen Tag über die Grenze wollen, verarbeite ich so viel wie möglich: Humus und Pesto entstehen, den Rest kompostiere ich. Milchprodukte, Honig, Früchte und Gemüse dürfen nicht nach Argentinien eingeführt werden – also muss ich kreativ sein. Vielleicht fragt ihr euch, warum ich nicht einfach im neuen Land einkaufe. Doch Argentinien ist das Gegenteil: ein kleineres Angebot, dafür deutlich höhere Preise.


Kopfhörer – fündig in der Hauptstadt

Einen der kleinen Bügel meiner Kopfhörer habe ich verloren – und ohne Musik in den Ohren fühle ich mich fast unvollständig. Das habt ihr wohl noch nicht gewusst, oder? Nach fünf Jahren unterwegs gibt es also doch noch kleine Geheimnisse über uns. Gut so.

 

Da wir ohnehin über die Grenze nach Asunción, der Hauptstadt, fahren, nutzen wir die Gelegenheit. Unerwartet entspannt rollen wir über breite Strassen ins Herz der Stadt. Zwischen Kolonialbauten und modernen Wolkenkratzern bewegen wir uns wie auf einer Zeitachse zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Einkaufsparadiese locken – wahre Gourmettempel, die wir uns für einen nächsten Besuch merken. Heute aber zählt nur eines: neue Kopfhörer. Und schon freue ich mich auf meine nächste Joggingrunde – mit Beat, der endlich wieder passt.


Grenzübergang oder Apokalypse

Kilometerweit fahren wir auf breiten, modernen Strassen der Grenze entgegen – und fühlen uns wie in einer Geisterstadt. Verlassene Häuser, keine parkenden Autos, keine Stimmen, kein Hupen, keine Essensstände. Nur unser Unimog, der durch die Stille rollt. Dabei hatte man uns vorgewarnt: Chaos, unübersichtliches Durcheinander, lange Wartezeiten. Doch angesichts dieser menschenleeren Szenerie fragen wir uns eher, ob es die Grenze überhaupt gibt – und wenn ja, ob sie geöffnet ist.

 

Keine Wegweiser, keine Lastwagenschlangen, keine Parkplätze. Wir sind schon auf das Umdrehen eingestellt, als wir plötzlich doch auf die fast leere Grenzanlage treffen. Auch dort dasselbe Bild: still, leer, nur einige wenige Beamte, die ohne jede Hektik ihrem Dienst nachgehen. Nach dem lauten, pulsierenden Leben am See wirkt diese Szenerie wie aus einer anderen Welt. Fast wie durch Butter gleiten wir durch Stempel, Schalter und Kontrollen – schneller und einfacher hätten wir es uns nicht träumen lassen.

Gesehen haben wir am Ende wirklich nicht viel-aber wir kommen wieder.


Dies und das

In Paraguay fällt uns die allgegenwärtige Präsenz von Waffen auf. Polizei und Sicherheitsdienste tragen sie offen, vom Revolver bis zum automatischen Gewehr. Waffenläden gibt es überall, der Erwerb scheint unkompliziert. Selbst bei unserem Sattler lag die Pistole offen auf dem Arbeitstisch. Auf unsere Frage, warum er sie brauche, antwortete er schlicht: „Damit ich nicht ausgeraubt werde.“

 

Abgesehen von den wenigen europäischen Kolonien haben wir bisher nur kleine Einblicke ins Land erhalten. Doch wir werden in einigen Monaten zurückkehren – für den obligatorischen Ölservice bei Chris und um neue Reifen zu montieren, die wir in Deutschland bestellt haben. Dann hoffen wir, tiefer in Paraguay einzutauchen.

 

Was wir bisher erlebt haben: überaus gastfreundliche, offene Menschen. Nur einmal wurden wir von einem Polizisten zurechtgewiesen, weil wir am Strassenrand parkierten. Vermutlich ein ausgewanderter Schweizer oder Deutscher – die Tonlage kam uns verdächtig bekannt vor. Vermissen tun wir das allerdings nicht.

 

Seit nunmehr sechs Monaten sind wir auf diesem Kontinent unterwegs und haben Tausende Kilometer hinter uns – ohne je mit Korruption konfrontiert worden zu sein. Wir wissen: irgendwann wird es passieren. Doch bis dahin geniessen wir die angenehme Normalität und lassen uns überraschen.

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