Blog #43, Marlene (Juli 2025, Pantanal, Brasilien)
Das Pantanal ist kein Ort – es ist ein lebendiger Rhythmus aus Wasser, Wildnis und Wunder.
Autor unbekannt
Das Pantanal ist die grösste tropische Überschwemmungsebene der Welt und erstreckt sich über das Dreiländereck Bolivien, Paraguay und Brasilien. Je nach Jahreszeit umfasst es eine Fläche von 150’000 bis 200’000 km², wovon rund 80 % im brasilianischen Bundesstaat Mato Grosso liegen.
Etwa 4’700 Tier- und Pflanzenarten sind hier beheimatet – und es leben mehr Vogelarten im Pantanal als im Amazonasgebiet. Das Sumpfgebiet ist nur während der Trockenzeit (Winter) gut erreichbar.
Wir erleben hier Temperaturen um die 40 Grad, während Mücken zu unseren ständigen, wenn auch ungeliebten Begleitern zählen. Die UNESCO würdigt dieses artenreiche Gebiet als schützenswertes Naturerbe.
Wir erreichen das Hochplateau an einem Samstag – perfektes Timing, um erst einmal in der angenehmen «Kühle» zu verschnaufen, bevor wir uns wieder in die Hitze der Ebene stürzen. Hier oben können wir sogar wieder atmen, ohne das Gefühl zu haben, unser Hirn dünstet im eigenen Saft.
Eine kurze Velotour zum Aussichtspunkt muss natürlich sein, schon allein um zu zeigen, wie sportlich wir sind. Danach folgt der wirklich wichtige Teil: die Gastfreundschaft von Christanse und Sidney und deren Nachbarn geniessen. Die Nachbarn laden uns zu einem lokalen Fest ein, und wir tun, was wir am besten können: essen und trinken, bis der Bauch protestiert.
Die Nachbarn stammen aus Syrien und Libanon, wo «ein kleiner Snack» ungefähr so viel bedeutet wie ein dreigängiges Menü mit Nachschlag. Wunderbare Mezze, gegrilltes Fleisch und das Gefühl, dass wir uns hier oben nie wieder wegbewegen wollen.
Zwischendurch schrauben und werkeln wir ein bisschen, um das schlechte Gewissen zu beruhigen. Dann rollen wir tiefenentspannt hinunter in die Ebene – bereit für die nächste Runde Hitzetraining.
Die Reise, die ich mir von ganzem Herzen gewünscht habe, beginnt in Poconé. Das letzte Stück Asphalt verschwindet rasch unter uns, dann liegt sie vor uns: die legendäre Transpantaneira.
150 staubige Kilometer Schotterpiste, unterbrochen von mehr als 120 teils abenteuerlich wirkenden Holzbrücken. Wir halten kurz an, lassen Luft aus den Reifen und rollen weiter – immer dem Süden entgegen.
Vor jeder Brücke prangt ein Schild: «Nicht passierbar über 5 Tonnen». Wir wiegen 7,5 – das passt schon, aber jedes Mal überkommt uns ein leicht mulmiges Gefühl. Später kommen uns Lastwagen entgegen, deren Ladung eher Richtung 20 Tonnen geht. Ab da nehmen wir die nächsten Brücken deutlich entspannter.
Immer wieder steigen wir aus, um Kaimane und farbenprächtige Vögel zu fotografieren. Die Piste zieht sich, doch am Ende wartet Porto Jofre – das Tor zu einem der faszinierendsten Wildtierparadiese der Welt.
Eine ganztägige Bootstour haben wir im Voraus gebucht – in der grossen Hoffnung, Jaguare in freier Wildbahn zu sehen. Frühmorgens gleiten wir über das spiegelglatte Wasser des Rio Cuiaba. Das Labyrinth aus Flüssen und Lagunen liegt still vor uns, während sich die Sonne langsam durch das Dickicht kämpft. Ich habe nichts dagegen, wenn sie sich noch ein wenig Zeit lässt – denn schnell wird es drückend heiss. Zum Glück sorgt der Fahrtwind dafür, dass die Hitze und die Mücken erträglich bleiben.
Noch im Hafen sichten die ersten niedlichen Capyvaras, gefolgt von Riesenottern. Das fängt ja gut an! Nicht weit entfernt blitzen die ersten Kaimane in der Sonne. Sie scheinen ein cooles Lächeln aufgesetzt zu haben, trotzdem flössen sie mir Respekt ein – besonders, als einer anfängt zu fauchen, weil Dani mit seiner GoPro zu nahekommt. Wir fahren an hunderten kreischenden Vögeln vorbei und versuchen, einige für euch einzufangen – fotografisch natürlich.
Dann passiert es: Am Ufer liegt unser erster Jaguar. Majestätisch, kraftvoll, ein Anblick, der uns sprachlos macht. Und wir haben Glück – wir sehen mehrere: schwimmend, dösend, jagend. Einer davon springt plötzlich mit einem gewaltigen Satz ins Wasser und packt einen der offenbar 10 Millionen Kaimane im Pantanal. Wasser spritzt, Vögel stieben in alle Richtungen. Der Kampf ist kurz, aber intensiv – und für den Jaguar sicher kräftezehrend. Wir sind Zeugen einer atemberaubenden Szene: wild, roh, kraftvoll und unvergesslich. Da es über zehn Millionen Kaimane im Pantanal gibt, gönne ich der Raubkatze ihren Fang von Herzen.
Fressen oder gefressen werden – der ewige Kreislauf der Natur.
Auf dem Rückweg fällt mir ein Schild ins Auge: Der Zoo Zürich unterstützt hier ein Schutz- und Aufzuchtprojekt für Hyazinth-Aras. Ihr Lebensraum ist auf ein Minimum geschrumpft, illegaler Handel hat die Population fast ausradiert – umso schöner zu sehen, dass hier nicht nur geredet, sondern gehandelt wird.
Frühmorgens rumpeln wir durchs Hinterland, öffnen Gatter und werden von den neugierigen Blicken kleiner Kapuzineräffchen begleitet. An einer Fazenda empfängt uns eine Handvoll Gauchos – und selbstverständlich beginnt Gastfreundschaft hier mit einem Stück Fleisch zum Probieren – ich lehne dankend ab.
Dann beginnt die Suche nach den blauen, kreischenden Flattervögeln. In der Mittagshitze döst alles, als wäre das Leben auf „Pause“ gedrückt. Gegen vier Uhr stehen wir auf einer Palmenlichtung – den Lieblingsbäumen der Aras – und warten. Kamera und Feldstecher im Anschlag. Plötzlich höre ich sie, diese markanten Schreie – und da sind sie: drei prächtige blaue Riesenpapageien, majestätisch im Flug. Mit über 1,5 Metern Spannweite sind sie die unangefochtenen Giganten unter den flugfähigen Papageien.
Fehlt nur noch der Ameisenbär. Termitenhügel gäbe es reichlich, doch bei Sonnenuntergang bleibt er uns verborgen. Am nächsten Morgen starten wir einen zweiten Versuch – gut eingesprüht, denn Dengue- und Zika-Mücken lieben mich anscheinend besonders. Leider auch diesmal: Fehlanzeige. Aber Dani hält weiter Ausschau – und ich manifestiere. Meist erfolgreich.
Nach einem erfrischenden Bad im kristallklaren Naturpool und einer kräftigen Massage unter dem Wasserfall verlassen wir den Badeort Balneário Sete Quedas do Didi im Eiltempo. Bei dieser Hitze und den staubigen Fahrten über rotsandige Pisten war das die perfekte Staub- und Schweisskur – einmal komplett durchgewaschen. Frisch, sauber und voller Tatendrang setzen wir die Suche nach einem Nachtplatz fort.
Kaum hat Dani den Motor abgestellt, um dem Unimog seinen wohlverdienten Feierabend zu gönnen, greife ich zum Fernglas. Dani will noch Luft aus den Reifen lassen, bevor wir die Wellblechpiste verlassen und ins hohe Gras fahren – doch dafür fehlt mir gerade die Geduld.
Und dann: Treffer! Ein grosser brauner Ameisenbär trottet durchs Feld. (Ja, ich hatte ihn für heute „manifestiert“ – lateinisch manifestare = „offenbar machen“ – und siehe da: funktioniert!) Dani vergisst augenblicklich die Reifen und schleicht sich mit der Kamera an. Ich klettere aufs Dach und dirigiere ihn mit Armzeichen – und entdecke von oben gleich noch einen zweiten «Bären».
Dani strahlt, als er mir vom Dach herunterhilft. Wir haben sie gefunden – wieder ein Erlebnis zum Einrahmen. Und plötzlich fällt mir der Ameisenbär «die blaue Elise» aus dem «Rosaroten Panther» ein – dieser unbeirrbare Typ, der ewig der frechen Ameise hinterher war. Jetzt weiss jeder, warum Dani so heiss auf eine Sichtung war!
Am nächsten Morgen klingelt der Wecker um fünf. Heute will auch ich auf leisen Sohlen durchs Gras. Kurz vor Sonnenaufgang sehen wir die beiden wieder – riesig, still und überraschend nah. Einer kommt mir so gelassen entgegen, dass ich den Atem anhalte und nur hoffe, er berührt mich nicht. Magisch! Und ja – ich habe gefilmt. (Früher habe ich in solchen Momenten gern die Kamera am Motiv vorbeigehalten…)
Ameisenbären sind nicht blind, sehen aber schlecht. Sie verlassen sich auf Geruch, Tastsinn und Gehör – offenbar hat mich dieser sanfte Riese erst im letzten Moment wahrgenommen.
Solche Touren durchs hohe Gras mache ich trotzdem mit Vorsicht. Schlangen gibt es hier reichlich, und einer Anakonda möchte ich nicht zu nahekommen. Die würden wir allerdings wohl schon von weitem sehen. Naja… ausser in meinem Kopfkino, wo sich gerade riesige Sci-Fi-Schlangen durchs Gras winden – den Rest der Szene dürft ihr euch selbst ausmalen.
Ohne besondere Vorkommnisse erreichen wir Foz do Iguaçu. Über 270 einzelne Wasserfälle stürzen hier bis zu 80 Meter in die Tiefe. Ich wünsche mir einen Regenbogen am Wasserfall und Teile das auch gleich lautstark mit. Bald werde ich wissen, ob es klappt – ich bilde mir ein, das Rauschen schon von weitem zu hören.
Die Tickets haben wir zwei Tage zuvor online gebucht. Montag, 09:10 Uhr soll es losgehen. In der Nacht regnet es in Strömen, am Morgen weckt uns der Wecker um 07:30 Uhr – draussen kalt, nass, unfreundlich. Nö, so macht das keinen Spass. Dani versucht, die Buchung online zu verschieben – und tatsächlich, es gelingt. 24 Stunden später starten wir den nächsten Versuch.
Den verregneten Tag verbringen wir mit unseren deutschen Nachbarn Susanne und Jens sowie Tanja und Gunnar, die schon lange in Südamerika unterwegs sind. Von ihnen bekommen wir viele wertvolle Tipps – einen setzen wir gleich am nächsten Tag um.
Frühmorgens bringt uns der erste Bus mit mehreren Stopps zu den Wasserfällen. Die meisten Touristen steigen bei der zweitletzten Station aus, um den Panoramaweg bis zur letzten Plattform zu gehen. Wir fahren direkt bis ganz nach hinten und laufen den Panoramaweg in entgegengesetzter Richtung.
An der Endstation bringt uns ein Lift hinunter auf die Aussichtsplattformen – und ein unglaubliches Naturschauspiel eröffnet sich. Wir haben etwa 30 Minuten, bevor die Massen eintreffen. Der Rheinfall wirkt dagegen wie ein kleiner, kaum beachteter Nebenschauplatz. Wasser überall, donnerndes Getöse – und dann bricht die Sonne durch die Wolken und zaubert einen Regenbogen in die Gischt.
Wir spazieren über die Holzstege bis zur äussersten Plattform. Das Rauschen wird immer mächtiger, fast einschüchternd. Tief beeindruckt stehen wir allein über dem brodelnden Abgrund, der Sprühnebel durchnässt uns wie nasse Pudel. Mehrere Regenbogen leuchten und grosse Fahlsegler stürzen sich waghalsig durch die tosenden Wassermassen. Ob dahinter wohl hungrige Jungvögel warten?
Solche Momente zeigen uns, wie winzig wir Menschen doch eigentlich sind. Langsam kommen die ersten Besucher, und wir machen Platz. Da wir als Einzige gegen den Strom laufen, brauchen wir etwas länger zurück. Auf dem Weg soll es, so haben wir gehört, Nasenbären geben – nur zeigen sie sich nicht.
Ich will sie unbedingt sehen, also drehen wir um, laufen mit der Menge zum grossen Wasserfall – wieder nichts. Noch einmal in die Gegenrichtung, und siehe da: Da sind sie! Putzig, zutraulich, aber trotzdem wild. Jetzt fehlt noch der Tapir…..
Das war unsere letzte Markierung auf Google Maps in Brasilien. Wir überqueren die Grenze nach Paraguay. Brasilien – wir kommen wieder. Du hast uns sehr gefallen, und deine Rhythmen klingen noch lange nach.
Brasilien umfasst vier verschiedene Zeitzonen – bei dieser Landesgrösse kaum überraschend.
Weltweit ist Brasilien führender Produzent und Exporteur von:
Ebenfalls unter den Spitzenplätzen: Mais- und Baumwollproduktion.
Femizid:
2024 wurden 1'459 Fälle gemeldet – das sind im Schnitt vier ermordete Frauen pro Tag. Ein neues Gesetz soll dem entgegenwirken: Die Mindeststrafe wurde von 12 auf 20 Jahre erhöht und kann nun bis zu 40 Jahre betragen. Rund 60 % der Opfer sind afrobrasilianischer Herkunft und sterben meist in ihrem häuslichen Umfeld, oft in Favelas. Häufig spielen Drogen dabei eine Rolle.
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