Blog #42b, Marlene (Juli 2025, Brasilien Teil II)
Am Sonntag machen wir uns zu viert auf den Weg in Richtung Downtown. Unser erster Stopp ist die grosse Markthalle – ein quirliger, lauter Ort, in dem die berühmten Mortadella-Brötchen so gross sind wie mein Gesicht. Die Preise? Ebenfalls stattlich.
Auf dem Weg zur Catedral da Sé blicken wir immer wieder nach oben – und ich bin begeistert von den farbenfrohen Murals, die ganze Hausfassaden schmücken. Manche dieser Kunstwerke sagen mehr als tausend Worte – und ganz sicher mehr als viele kluge Sätze mancher Politiker.
Zwischen glitzernden Hochhäusern, Designerläden und stylischen Rooftop-Bars begegnet uns eine andere Realität: Armut, die nicht versteckt wird. Sie sitzt in Wolldecken gehüllt auf dem Gehweg, schläft in Hauseingängen, bittet an Ampeln um etwas zu essen. Ganze Familien hausen unter Plastikplanen – mitten im Schatten glänzender Bankentürme.
Die Armut ist hier allgegenwärtig. Millionen Menschen leben in einfachsten Verhältnissen, in Favelas oder improvisierten Siedlungen – oft ohne Perspektive. Und gleichzeitig ist diese Stadt extrem reich.
Vom 168 Meter hohen Aussichtspunkt des Edifício Itália blicken wir über das endlose Häusermeer dieser 12-Millionen-Metropole. Wir geniessen den Sonnenuntergang – und sehen von oben die vielen Helikopterlandeplätze auf den Dächern der Wolkenkratzer. São Paulo ist auch die Stadt der Superreichen.
Der Kontrast? Könnte nicht grösser sein.
Hier landen nicht einfach Fleischberge auf dem Teller – hier wird gefühlt der halbe Tierbestand serviert. Während Dani, Ricardo und Julia (seine Tochter) bereits das zwölfte Stück Picanha geniessen, halte ich mich lieber am reichhaltigen Beilagen Buffet. Die Fleischspiesse sind üppig bestückt: Hühnerherzen, Lamm, Lachs und noch vieles mehr, was da so durch die Luft gewedelt wird.
Brasilianisches All-you-can-eat ist kein Essen – es ist ein Marathon. Mit Grillduft, umherwirbelnden Kellnern (die nicht verstehen wollen, dass ich wirklich kein Fleisch will) und einem scheinbar endlosen Essensangebot.
Leicht beschämt über so viel Masslosigkeit – und mit dementsprechend vollem Bauch – rollen wir zurück zur Garage.
Dasselbe Prinzip gibt es übrigens auch in vielen Sushi-Restaurants – und auch dort sind wir nicht gerade zurückhaltend. Kein Wunder: In Brasilien lebt die grösste japanische Community ausserhalb Japans – rund 1,5 Millionen Menschen. Viele kamen Anfang des 20. Jahrhunderts, ursprünglich als Arbeitskräfte für die Kaffeeplantagen. Und so gibt es heute ein beeindruckend breites Angebot an japanischer Küche – qualitativ und quantitativ.
Den letzten Nachmittag verbringen wir entspannt in der Metropole: ein bisschen shoppen, apéröle, ein Hauch Kultur. Am Abend treffen wir uns beim Italiener mit Freunden aus der Schweiz – und geniessen feinstes Essen in bester Gesellschaft.
Wie schön, dass es mit Renata und Rolf geklappt hat! Nochmals ganz herzlichen Dank fürs Mitbringen des Laptops. Und eure kleine Amber – ein herziger Sonnenschein! Ich habe es sehr genossen, wieder einmal ein Kleinkind um mich zu haben.
Nach über einer Woche in der Werkstatt rollen wir endlich wieder weiter – erleichtert, glücklich und voller Vorfreude. Unsere Pläne ändern sich spontan, denn wir möchten Karin und Ricardo auf dem Land besuchen. Karin lebt mit ihren Kindern in einem kleinen Paradies – umgeben von exotischen Pflanzen, Tieren und einem idyllischen See. Wunderschön, dort zu sein – und einfach mal tief durchzuatmen und die frische, saubere Luft zu geniessen.
Obwohl wir hier übernachten dürften, zieht es uns am Nachmittag weiter. Die Sehnsucht nach Einsamkeit, Beach und Wellenrauschen ist einfach zu gross. Vor der Abfahrt darf ich noch Aloe Vera abschneiden und Mandarinen pflücken. Aus den kleinen, kernreichen Bio-Mandarinen presse ich – mühsam und zeitaufwendig – ein halbes Glas Saft.
Wir verlassen die Autobahn – was für ein Glück! Statt LKWs und Stau folgen wir nun der kurvigen Küstenstrasse, die sich durch grüne Hügel schlängelt. Vorbei an Palmen, Fischerbooten und kleinen Buchten zeigt sich Brasilien hier von seiner schönsten Seite: tropisch, verträumt und vielerorts noch unverbaut.
In Praia de Itaguaré tanzen wir mit den Locals zu grandiosem Beat bis tief in die Nacht – ansteckende Lebensfreude pur. In Ubatuba gibt’s Eis im Regenschauer, und am nächsten Tag machen wir eine spektakuläre Wanderung zur Praia do Félix. Der Regen macht den Weg stellenweise zur Rutschpartie – aber dank verankerter Seile, Wurzeln und Bäume hangeln wir uns sicher rauf und runter.
Am Abend fahren wir noch ein Stück weiter und schlafen ganz allein auf einem abgelegenen, offiziell erlaubten Strandabschnitt. Ich weiss nicht, wie es hier im Sommer aussieht – aber jetzt, im brasilianischen Winter, sind wir die Einzigen weit und breit. So ruhig, so friedlich – wir lieben es.
Langsam finden wir wieder in unseren «Alltag» zurück – und nehmen auch unsere sportlichen Morgenrituale wieder auf.
Seit 2019 gehört Paraty offiziell zum UNESCO-Weltkulturerbe. Die Stadt empfängt uns mit stahlblauem Himmel, und schon im ersten Restaurant – das einfach nur einladend wirkt – machen wir Halt.
Die autofreien Wege aus uraltem, unregelmässigem Kopfsteinpflaster fordern in Flipflops volle Konzentration. Weisse Häuser mit farbigen Fensterläden reihen sich fein herausgeputzt aneinander. In den Gassen erklingt Musik: mal ein Strassenmusiker mit Gitarre, mal Samba-Rhythmen aus offenen Türen.
Am Abend spiegeln sich die Laternen im nassen Pflaster, wenn sich das Meerwasser bei Flut langsam durch die Gassen schleicht – ein besonderes Phänomen, das Paraty berühmt gemacht hat.
Im Hafen warten bunte Boote auf Touristen – bereit für Inselhopping, Schnorcheltouren und Sonnenuntergänge.
Wir beschliessen nach zwei Tagen weiterzuziehen – denn noch einiges wartet auf uns. Doch wie so oft kommt es unverhofft: Der Motor läuft, der Gang ist eingelegt, als plötzlich ein Mann ans Fenster tritt und uns bittet, es zu öffnen. Spontan lädt er uns ein, den Tag mit ihm, seiner Frau und Freunden auf einem alten Holzboot zu verbringen.
Das lassen wir uns nicht zweimal bitten – zack, Rucksack gepackt, und los geht’s!
Da ich inzwischen weiss, dass brasilianische Ausflüge meist von Fleisch und Meeresgetier dominiert werden, habe ich mir vorsorglich einen kleinen Vegi-Proviant eingepackt.
Es gibt Bier, Musik, Tanz – und Fleisch in rauen Mengen. Die Stimmung ist herzlich, laut, fröhlich. Wir paddeln mit dem SUP, tauchen im türkisgrünen Wasser, schaukeln durchs Meer und legen an den schönsten kleinen Stränden an.
Was für eine wunderbare, spontane Abwechslung.
Danke, Fernanda und Ivar – wir haben es sehr genossen!
Kaum angekommen, fahren wir direkt und problemlos zu einem gesicherten Stellplatz. Von dort bestellen wir uns einen Transport ins Zentrum. Schon auf dem Weg bestaunen wir riesige Murals, Wandbilder, die eindrucksvoll von der Geschichte der Indigenen erzählen.
Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln geht’s weiter ins Lapa-Quartier.
Lapa – das klingt nach Samba, Strassenmusik, alten Kolonialbauten und buntem Leben. Doch wir sehen auch das andere Gesicht dieser Stadt. Auf dem Weg zur berühmten Mosaik-Treppe von Selarón, wo Farben und Fliesen aus aller Welt in der Sonne leuchten, laufen wir durch enge Gassen – und begegnen einer Szene, die uns verstummen lässt.
An einer Ecke steht eine Menschenschlange: zerschlissene Kleider, unruhige Blicke, leere Gesichter. Oben, auf einer Hausruine, erkennt man einen Drogenverkäufer – einen Traficante. Er lässt ein Seil herunter. Daran hängt ein kleines Behältnis. Die Drogen werden entnommen, das Geld hineingelegt, und der Behälter wandert wieder nach oben. Ein stilles Geschäft – effizient, fast mechanisch. Das System schützt den Dealer vor Polizei oder Überfällen.
Wir beobachten nur kurz mit Distanz – aus Respekt, ohne zu provozieren.
Von der Armut direkt zur Religion, wo es nicht an Geld fehlt. Die Kathedrale von Rio, ein Betonmonolith, wirkt wie ein gelandetes Raumschiff. Doch innen überraschen uns die farbigen Fensterbilder, die die drückende Stimmung im Innern durchbrechen.
Beim Eindunkeln verlassen wir die Gegend – mit einem mulmigen Gefühl im Bauch.
Heute Morgen steht ein Highlight an: ein Helikopter-Rundflug.
Kaum hebt der Heli ab, breitet sich Rio de Janeiro wie ein gigantisches Gemälde unter uns aus. Die Strände von Copacabana und Ipanema glänzen in der Morgensonne, das Meer funkelt bis zum Horizont. Der Wind rüttelt heftig an unserer Kabine – ich sende ein stilles Stossgebet, wohin auch immer.
Wir fliegen dicht am Zuckerhut vorbei – so nah, dass wir die Seilbahn erkennen. Ein Schwenk – und der Corcovado mit der Christusstatue liegt vor uns. Selbst aus dieser Höhe wirkt die Figur gewaltig und majestätisch, mit weit ausgebreiteten Armen über der Stadt.
Der Pilot – kaum älter als ein Schulbub, scheint’s – dreht eine etwas holprige Kurve über die Lagunen. Die Rocinha Favela, eine der grössten der Welt, gleitet unter uns vorbei. Die Gegensätze dieser Stadt – dichter könnte man sie kaum spüren.
Rio von oben zu sehen, zeigt uns die Dimensionen, die Schönheit – und die Extreme dieser Metropole. Ein unvergessliches Abenteuer.
Wir hatten Glück, dass wir überhaupt abheben konnten – der starke Wind hätte uns beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Mein nächstes Ziel: das Museu do Amanhã – das „Museum der Zukunft“. Schon von aussen ist das Gebäude ein echter Hingucker. Die Architektur erinnert an das Skelett eines riesigen Walfisches, der am Hafen gestrandet ist – futuristisch, filigran, beinahe schwebend.
Drinnen erwartet mich eine spannende Reise von der Entstehung des Lebens bis in die Zukunft. Riesige Lichtinstallationen, Projektionen, interaktive Räume – und immer wieder diese grossen Fragen:
Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Wie können wir den Planeten schützen?
Es macht nachdenklich. Sehr sogar. Die Fakten sind bekannt, die Zeichen eindeutig. Und doch: Wir diskutieren, debattieren, warnen – aber handeln zu wenig. Ganz ehrlich? Ich glaube, wir fahren unseren blauen Planeten geradewegs an die Wand. Die Erde wird sich erholen – ganz sicher sogar. Aber ob wir dann noch Teil davon sind? Fraglich.
Und ja, auch wir – Dani und ich – leben nicht vorbildlich. Unser Unimog verbraucht seinen Anteil Diesel, unsere ökologischen Fussabdrücke sind nicht riesig, aber auch nicht lobenswert klein. In meiner Familie gibt es Menschen, die das mit viel mehr Konsequenz und Überzeugung leben. Chapeau. Aber ganz ehrlich: Ändert es etwas? Oder ist es nur ein Tropfen auf dem heissen Stein?
Dani hatte an diesem Tag ein anderes Ziel: Er hat das Museu Naval besucht – das Marinemuseum. Vergangenheit trifft Zukunft – und wir beide dazwischen.
Nach unserem Museumsbesuch setzen wir uns wieder ins Tram – und fahren zur Copacabana. Es ist Sonntag in Rio – und der berühmte Strand zeigt sich von seiner lebendigsten Seite.
Der Sand ist voller Leben: Kinder planschen vorsichtig im Wasser, während meterhohe Wellen anrollen. Erwachsene schlürfen Caipirinhas, lachen, entspannen – und warten gespannt auf das Highlight des Tages: Flamengo gegen Bayern München.
Vor dem Eingang des Public Viewings zieht sich eine endlose Schlange rot-schwarzer Trikots durch die Menge. Die Stimmung ist ausgelassen, fröhlich – und die Luft vibriert im Takt der Sambarhythmen. (Und ja, stellt sie euch vor: die tanzenden, schönen, sexy Menschen – genauso ist es.)
Wir lassen uns in einer Strandbar nieder, bestellen zwei Getränke und fiebern mit den Einheimischen mit. Um uns herum wird diskutiert, gelacht, geschimpft – lauter selbsternannte Schiedsrichter und Fussballexperten, zu denen auch ich mich mit einem Augenzwinkern zähle. Es wird aufgestöhnt, die Hände in die Luft geworfen, gejubelt – und manchmal auch geweint.
Leider jubeln die Bayern etwas häufiger als die Fans von Flamengo.
Flamengo ist der populärste Fussballverein Brasiliens – Millionen Fans im ganzen Land feiern ihn. Die Mannschaft steht für Stolz, Herz und Identität der Menschen in Rio – o time do povo, das Team des Volkes.
Für uns geht ein unglaublich intensiver Tag zu Ende. Beim Heimfahren heisst es Abschied nehmen.
Rio – du bist wunderschön, gefährlich, laut, intensiv – und wir sind dir verfallen. Wer weiss… vielleicht sehen wir uns wieder. Ich wünsche es mir und Dani.
Früher als geplant verlassen wir die Metropole – ein Freund ist ganz in der Nähe, und mit ihm, ihr ahnt es, ein Ersatzteil. Der Küstenabschnitt zwischen Rio und Búzios ist ein einziger Bilderbuchstreifen: Wir fahren entlang des Meeres, durch kleine Orte, vorbei an Buchten und Wäldern – das Meer stets in Sichtweite. Wir geben Gas und halten nur kurz für eine erfrischende Kokosnuss und die obligatorischen Bisi-Pausen.
Als wir schliesslich in Búzios ankommen, spüren wir es sofort: Hier ticken die Uhren langsamer.
Der Ort hat sich einen Hauch Bohème bewahrt – nicht zuletzt wegen einer berühmten Besucherin: Brigitte Bardot. In den 1960er-Jahren entdeckte sie das damals verschlafene Fischerdorf – heute wacht ihre Statue über das bunte Treiben an der nach ihr benannten Promenade. Ob sie weiss, wie sehr sie diesen Ort geprägt hat? Dank ihr wurde Búzios berühmt, beliebt – und doch hat es sich seinen Glanz, seinen Charme und sein entspanntes Flair bewahrt.
Die Fischerboote schaukeln noch immer träge vor der Küste, der Luxus versteckt sich diskret in den grünen Hügeln. Die Einheimischen prägen das Stadtbild, keine hässlichen Hotelbauten stören das Idyll. Ganz wunderbar: Es darf nicht höher als zwei Etagen gebaut werden, und der Stadtkern ist autofrei. Ein Ort zum Durchatmen.
Als ob das nicht schon traumhaft genug wäre, werden wir von Michel, einem langjährigen Freund von Dani, herzlich empfangen. In seiner geschmackvollen Villa oberhalb der Buchten finden wir einen unglaublichen Rückzugsort – und tauchen ein in einige Tage voller Luxus und Familienleben.
Es sind diese besonderen Momente, in denen die Zeit stillsteht: angeregte Gespräche auf der Terrasse, kulinarische Ausflüge, Kinderlachen und Herzlichkeit. Ich kannte Michel kaum, hatte keine Erwartungen – und wurde einmal mehr so positiv überrascht.
Priscila, seine Frau, die Zwillinge und Michel selbst – sie alle haben uns mit offenen Armen empfangen, verwöhnt, begleitet, zum Lachen gebracht und uns ihre Welt gezeigt.
Allerliebsten Dank euch allen für diese offenen, herzlichen und witzigen Tage – bei und mit euch!
Unsere Route haben wir bewusst so gelegt, dass wir Belo Horizonte ansteuern – denn dort liegt Inhotim, ein Museum, das uns schon lange interessiert.
Google führt uns auf dem Weg dorthin allerdings über eine gefühlt endlose Abkürzung: extrem schmale, steile Strassen, teilweise eigentlich für grössere Fahrzeuge gesperrt. Warum unser Navi immer noch nicht weiss, wie gross wir sind, bleibt ein ungelöstes Rätsel. Vielleicht ein Fall für die KI?
Egal – Ende gut, alles gut: Wir kommen unversehrt an.
Inhotim ist mehr als ein Museum – es ist ein Erlebnisraum. Es verbindet zeitgenössische Kunst mit botanischem Garten. Zwischen Palmen, spiegelnden Wasserflächen und tropischem Wald verteilen sich Pavillons mit Werken brasilianischer und internationaler Künstler:innen.
Wir verlieren uns in den verschlungenen Wegen, begegnen Skulpturen, Klanginstallationen und lichtdurchfluteten Räumen. Vieles dreht sich um Umwelt, Gesellschaft, Krieg – aber auch um Hoffnung und Menschlichkeit.
Uns gefällt, wie die Kunst hier in die Natur eingebettet ist, mit ihr verschmilzt – oder sich bewusst davon abgrenzt. Wir staunen, lassen wirken, verstehen nicht alles – aber ist das nicht oft so mit Kunst?
Die Nacht in der Nähe der Gleise ist weniger poetisch – die Züge donnern in regelmässigen Abständen vorbei, als wollten sie durch die Box fahren. Schlaf gibt’s nur in Etappen, aber was soll’s – wir ziehen morgens trotzdem weiter, etwas müder als sonst.
Wir durchqueren den Bundesstaat Minas Gerais – so gross wie Spanien! Die Dimensionen dieses Landes sind einfach unfassbar.
Wie der Name schon sagt, liegt hier der Ursprung vieler Minas – Minen. Gold, Edelsteine, Reichtum. Der Bergbau hat Glanz gebracht – und dunkle Kapitel geschrieben. Der Reichtum? Oft exportiert. Die Ausbeutung? Bleibt. Und ja – wir in Europa sind nicht einfach so reich geworden … aber das ist ein anderes Thema.
Wir lassen die vielen UNESCO-geschützten Dörfer in dieser Region schweren Herzens aus – die Distanzen sind schlicht zu gross.
Und doch: Diese Gegend ist ganz mein Ding. Sie gilt als Zentrum alternativer Szenen, Heilpflanzenkunde, spiritueller Rituale.
Vielleicht, Dani – irgendwann müssen wir hierher zurück. Ganz in Ruhe.
Wer Brasilien kennt, denkt beim Bundesstaat Goiás vielleicht an den Cerrado – eine raue, dicht bewachsene Landschaft mit knorrigen Bäumen, Termitenhügeln und trockenen Savannenwinden. Doch Cristalina, gelegen zwischen Belo Horizonte und Brasília, überrascht uns mit einer ganz eigenen Energie. Hier liegen die Kristalle buchstäblich auf der Strasse.
Beim Wandern glitzern Splitter von Quarz, Amethyst und milchigem Glas in der Sonne. Wie mag es wohl einst in den zahlreichen, heute stillgelegten Minen ausgesehen haben? Ich jedenfalls bin hochmotiviert und mit Hammer, Schraubenzieher und Meissel bewaffnet – die Schatzsuche kann beginnen!
Cristalina ist berühmt für seine Quarze – einige der grössten und reinsten Kristalle wurden hier gefunden. In kleinen Läden und auf Märkten treffen wir auf Heilkundige, Kristall Schnitzer, Träumer und jede Menge «gute Energie». Es gibt hier offenbar auch Rapé-Zeremonien (mehr dazu, wenn ich irgendwann mal die Gelegenheit bekomme). Bisher hat mich aber nichts wirklich angesprochen – ich warte lieber, bis ich dem «richtigen» Schamanen begegne.
Auf unserer Tour mit José erfahren wir vieles über die Minen – na ja, zumindest so viel, wie wir ohne Portugiesisch-Kenntnisse verstehen können. Das Wichtigste erschliesst sich uns trotzdem. José führt uns durch eine stillgelegte Mine, während die pralle Sonne die Quarzsplitter zum Funkeln bringt. Es ist, als würden wir über Swarovski-Pfade laufen. Ich kann mich kaum losreissen und fülle meine Taschen gierig mit funkelnden Exemplaren – hier stört das niemanden, wir sind die Einzigen.
Unterwegs lernen wir einiges über die Vegetation und welche Blätter, Nüsse oder Rinden gegen Krankheiten helfen. Besonders beeindruckt uns das markante Naturdenkmal Pedro do Chapéu – ein riesiger Block aus Quarzgestein, rund 1,5 Milliarden Jahre alt, der wie ein gigantischer «Fels-Pilz» aus der Erde ragt. Die alten Felsmalereien aus prähistorischer Zeit machen den Ort noch mystischer.
Nach zwei grandiosen Nächten an einem «privaten» Wasserfall mit Naturpool zieht es uns weiter – Richtung Hauptstadt.
Mitten im Herzen Brasiliens liegt Brasília – keine gewachsene Stadt, sondern ein Manifest. In den 1960er-Jahren auf dem Reissbrett entworfen, sollte sie das Symbol einer neuen, modernen Nation sein.
Wir erreichen die Stadt am späten Nachmittag – ohne Stress, ohne Stau. Auf breiten, fast leeren Avenidas durchqueren wir die geometrisch geplante Metropole und steuern unseren Nachtplatz an. Kurz vor Sonnenuntergang sitzen wir direkt am künstlich angelegten Lago Paranoá, essen gemütlich und blicken auf die Silhouette der Stadt im Abendrot.
Plötzlich gesellt sich ein Paar zu uns – neugierig, freundlich. Es sind der kasachische Botschafter und seine Frau, die ganz in der Nähe wohnen. Sie wollen wissen, wer wir sind. Ein unerwarteter, charmanter Besuch. Wir plaudern, lachen – und werden herzlich eingeladen, ihre Familie in Kasachstan zu besuchen, wann immer wir dort einfahren.
Kaum sind wir wieder allein, raschelt es im Gebüsch: Capivaras! Die sanftmütigen, riesigen Wasserschweine streifen in aller Ruhe am Ufer entlang – mitten in der Hauptstadt. Sie fühlen sich hier offensichtlich schweinewohl.
Am nächsten Morgen starten wir früh mit unseren Faltvelos Richtung Zentrum. Auf dem Programm: Niemeyers Kathedrale, der Kongress, der Platz der drei Gewalten, der elegante Itamaraty-Palast und das Museu Nacional.
Wir bewundern die elegante, futuristische Architektur und lassen die Kunst auf uns wirken. Nach der Liftfahrt auf den Fernsehturm sind wir geschafft – und radeln gemütlich zurück.
Am Abend treffen wir unsere Bekannten Fernanda und Ivar wieder – wir kennen sie aus Paraty. Gemeinsam machen wir die Stadt unsicher und landen schliesslich bei einem coolen Jazzkonzert zwischen den monumentalen Bauten.
Sie erklären uns den Aufbau der Stadt – mit ihren zwei Flügeln, wie ein Flugzeug geformt. Wirklich genial durchdacht. Wir wären morgen noch zum Abendessen bei ihnen eingeladen gewesen – aber der Ruf der Strasse ist stärker.
Später als geplant – ich bin in einen kleinen Shoppingrausch verfallen, bei dem unglaublichen Nahrungsmittelangebot hier – fahren wir weiter nach Alto Paraíso de Goiás.
Ich habe das Gefühl: Dort warten noch einige schöne Überraschungen auf uns.
Auf dem Weg zu unserem nächsten Ziel halten wir an einer Tankstelle – und werden dort von einer hübschen jungen Brasilianerin angesprochen. Karina heisst sie, sie unterrichtet an einer Schweizer Schule in São Paulo. Natürlich hat sie unser Schweizer Kreuz am Unimog entdeckt – und wollte einfach kurz Hallo sagen. Wir tauschen Insta-Accounts – und schon ist sie wieder verschwunden. Eine dieser kleinen, zufälligen Begegnungen, die einem ein Lächeln schenken.
Alto Paraíso de Goiás empfängt uns nicht mit Spektakel und Fanfaren – sondern mit etwas viel Wertvollerem: mit leisen Momenten, tiefer Begegnung und einem Gefühl von es fügt sich alles, wenn du bereit bist.
Dies ist kein Touristenort. Es ist ein Ort für Wegsuchende, Weiterdenkende, für Freigeister. Wer hierherkommt, tut das nicht zufällig. Wer – wie ich – das Alternative, das Sanfte, das Hippiehafte liebt, fühlt sich sofort angekommen.
Heute Morgen hat uns die Neugier zum Wochenmarkt geführt. Zwischen getrockneten Heilpflanzen, selbstgemachtem Schmuck und frischem Gemüse fällt uns zum ersten Mal in dieser Region ein indigener Mann auf. Er trägt traditionelle Kleidung, hat ein tätowiertes Gesicht, schwarze, kunstvoll verzierte Hände – und steht mit ruhiger Präsenz mitten im Getümmel.
Wir schlendern weiter vorbei an bunten Cafés, Bio-Läden, Räucherstäbchen, Tarotkarten – und überall funkeln Kristalle aus den Schaufenstern.
Und dann: UFOs.
Wandbemalungen mit fliegenden Untertassen, grünen Aliens, Lichtportalen – anfangs dachten wir, es sei ein künstlerischer Scherz. Doch weit gefehlt: Die Region liegt auf einem riesigen Kristallbett. Geologen nennen es Quarzit, Esoteriker sprechen von hochfrequenter Energie.
Und wo das Energiefeld besonders stark ist, sind – so glaubt man hier – die Portale zum Universum besonders offen.
Also: manifestieren, was das Zeug hält – und hoffen, dass genau heute ein UFO landet. Wer weiss – in Alto Paraíso scheint alles möglich.
Wir fahren weiter nach São Jorge – von hier aus wollen wir morgen den Nationalpark Chapada dos Veadeiros besuchen. Frühmorgens geht’s los, wir haben uns eine kleine Wanderung zu verschiedenen Wasserfällen vorgenommen – ein bisschen baden, ein bisschen Natur tanken.
Doch als wir zurück im Dorf sind, merken wir: Es ist Wochenende, und entsprechend voll. Zu viele Besucher, zu eng – das passt heute irgendwie nicht. Also drehen wir um und fahren zurück nach Alto Paraíso – dort gefällt es uns ohnehin besser.
Kaum angekommen, erreicht uns eine Nachricht: Karina, die wir kürzlich an der Tankstelle kennengelernt haben, ist im Dorf – bei Freunden. Und sie lädt uns zum Abendessen ein. Wie schön!
Wir sagen natürlich sofort zu – und werden herzlich empfangen: von Karina, Natascha und ihrem Mann Tupya. Und jetzt haltet euch fest: Tupya ist der indigene Mann vom Wochenmarkt – der uns mit seiner der Ruhe, der Präsenz, beeindruckt hat.
Was für ein Abend. Intensive Gespräche. Lachen, zuhören, erzählen. Das Gefühl, sich zu kennen, obwohl man sich eben erst begegnet ist.
Wir erfahren viel – über die Beziehung der beiden, über kulturelle Unterschiede, Rituale, Herkunft, Identität. So gerne würde ich euch mehr erzählen … aber das würde den Rahmen hier sprengen.
Nur so viel: Es war eine Nacht, die bleibt.
Am nächsten Morgen – wieder sehr früh – düsen wir los zum Aldeia Multiétnica. Ein mehrtägiges Treffen, bei dem rund 18 indigene Ethnien aus allen Teilen Brasiliens zusammenkommen, um ihr kulturelles Erbe mit uns Besuchern zu teilen. Auch der Stamm von Tupya, den Fulni-ô (das „ô“ sieht aus wie ein umgekehrtes Dach oder ein V – so hat es Dani jedenfalls beschrieben), ist mit dabei.
Die Fulni-ô stammen aus dem Nordosten Brasiliens und sind einer der wenigen Stämme, die ihre Sprache und Identität bis heute aktiv bewahren. Jedes Jahr nehmen sie an einem geheim gehaltenen Ritual namens Quricuri teil – ein spiritueller Rückzug, der drei Monate dauert. Tupyas Frau, die nicht dem Stamm angehört, darf daran nicht teilnehmen.
Im Schatten sitzend werden wir Zeugen von heiligen Gesängen, traditionellen Tänzen und spirituellen Ritualen. Wir lauschen still, lassen uns mitnehmen in diese fremde, tiefe Welt.
Eine begleitende Ausstellung erzählt von der Geschichte – und dem Leid – der indigenen Völker Brasiliens. Vertrieben, unterdrückt, ermordet. Es ist bedrückend, aufwühlend – und macht nachdenklich. Mein Kopf schwirrt nach diesem intensiven Tag, Gedanken kreisen, und es dauert, bis ich zur Ruhe komme.
Am nächsten Morgen, im ersten Licht des Tages, wecken uns Trommeln und Gesänge. Sanft, kraftvoll. Ein würdevoller Abschied – wir brechen auf.
Noch ein letzter Abstecher in dieser mystischen Gegend: ins Vale da Lua – das „Tal des Mondes“. Eine Granitlandschaft, vom Wasser über Jahrtausende ausgewaschen, lässt tatsächlich den Gedanken zu, auf einem anderen Planeten zu sein. Schwerelos sind wir zwar nicht unterwegs, aber beschwingt hüpfen wir über die rundgeschliffenen Felsen.
Heute ist ein besonderer Tag: Dani feiert seinen sechsten Geburtstag auf Reisen. Happy Birthday, mi rayno! Wir feiern gebührend – mit einem Lächeln im Gesicht und Sonne im Herzen.
UFOs oder Aliens haben wir in dieser Gegend zwar keine gesehen – dafür aber Tukane, Ara-Papageien, hektisch nektarsuchende Kolibris und sogar eine neugierige Eule, die uns aus sicherer Distanz beäugt hat.
Es war eine besondere, unbeschreibliche Erfahrung – die wir mit offenen, achtsamen und ein wenig verrückten Menschen teilen durften.
Und doch zieht es uns weiter – hinein in die winterliche, trockene Hitze Brasiliens.
Im Valle de Lua hat die Natur ein Meisterwerk erschaffen: glattgeschliffene Felsen, geformt wie eine Mondlandschaft, durchzogen von glasklaren Wasserbecken. Frühmorgens, wenn die Luft noch frisch und klar ist, hüpfen wir von Stein zu Stein, begleitet vom leisen Surren der Kolibris. Das Wasser lockt – kühl, klar und erfrischend. Ein Bad ist einfach Pflicht.
Dani, mein Geburtstagsheld, wagt sogar einen Sprung vom Felsen in den Naturpool. Ein Jungspund im Herzen, verpackt in den Körper eines Ü-60igers. Sein Flug durch die Luft sorgt für ebenso viel Freude wie für eine spritzige Wasserfontäne – bei mir, bei ihm und den amüsierten Brasilieros.
Wer kennt sie nicht, die Bücher der Sieben Schwestern? Im letzten Band erzählt Pa Salt von seinem Aufenthalt in Paris – bei niemand Geringerem als Paul Landowski, dem berühmten Bildhauer der Christusstatue Cristo Redentor auf dem Corcovado in Rio de Janeiro.
Apropos Brasilien: Eben habe ich gelesen, dass in São Paulo derzeit viele Apotheken überfallen werden. Ziel der Kriminellen sind Abnehmspritzen wie Ozempic oder Wegovy, die hier extrem gefragt und entsprechend teuer sind – perfekte Beute für den Schwarzmarkt. Die Präparate sind heiss begehrt, denn viele Brasilianerinnen präsentieren ihre Körper gerne in knappen Bikinis, und auch die Männer zeigen stolz ihre Muskeln. Der Körperkult ist allgegenwärtig.
Und dann wären da noch die berühmten Persönlichkeiten des Landes:
P.S.: Wenn ihr selbst von einer ähnlichen Reise träumt: Wir tracken unsere Route! Den Link zum Globus findet ihr ganz am Ende – das Passwort schicken wir euch auf Anfrage natürlich sehr gerne zu.
Dicke Umarmung!
Danke, dass du bis zu Ende gelesen hast. Wir freuen uns immer wieder über einen Feedback von dir. Lass es uns wissen, was du denkst und mach uns Vorschläge, über welche Themen wir berichten sollen.