Blog #42a, Marlene (Juni 2025, Brasilien Teil I)

Wenn du reist, erlebst du auf sehr praktische Weise eine Wiedergeburt, Du wirst mit völlig neuen Situationen konfrontiert, der Tag vergeht langsamer, du auf den meisten Reisen nicht einmal die Sprache der Menschen verstehst, Du bist wie ein Kind, dass gerade aus dem Mutterleib gekommen ist. Du beginnst, den Dingen um dich herum viel mehr Bedeutung beizumessen, weil dein Überleben von

ihnen abhängt. Du beginnst, für andere Zugänglicher zu werden, weil sie dir in schwierigen Situationen helfen könnten. Du nimmst jede noch so kleine Gunst der Götter mit grosser Freude an. Als wäre sie eine Episode, an die du dich dein ganzes Leben lang erinnern würdest.

 

brasilianischer Autor: Paulo Coelho

 

Buch: Die Pilgerreise

Einige Fakten:

Brasilien das Herz Südamerikas

 

Brasilien ist das grösste Land in Südamerika, das fünftgrösste der Welt-sowohl flächenmässig als auch bevölkerungsmässig. (Brasilien ist etwa 2,5xgrösser als Indien) Mit rund 215 Millionen Einwohnern ist es das bevölkerungsreichste portugiesisch sprachige Land der Welt. Die Menschen sind so vielfältig wie das Land selbst. Eine bunte Mischung aus indigenen Völkern, europäischen Einwanderern, afrikanischen Nachfahrern und asiatischen Einflüssen. Das Wiederspiegelt sich beim Essen, Musik und Alltag wider. 

 

Der Glaube und die Religion spielen im brasilianischen Alltag eine grosse Rolle. Brasilien hat die grösste katholische Bevölkerung der Welt. Es finden sich aber evangelische Kirchen, Spiritismus und afrobrasilianische Religionen wie Candombe oder Umbanda sind weit verbreitet. Alle kennen wir die Bilder des weltberühmten Karnevals. Ein Farbenmeer aus Samba, Glitzer und Lebensfreude. Wer weiss, vielleicht sind wir ja mal Gast bei diesem Event. Wirtschaftlich ist Brasilien eine regionale Grossmacht mit einem Bruttoinlandprodukt von etwa 2 Billionen. Exportiert werden Soja, Eisen, Kaffee, Fleisch und Öl. Trotzdem Wohlstand kämpft auch dieses Land mit sozialen Ungleichheiten, Korruption und Umweltproblemen, vor allem das Abholzen im Amazonasgebiet ist da ein Thema, das mich beschäftigt. 

 

Was ich einfach sehr schön finde ist die Begrüssung. Es gibt immer eine herzliche Umarmung und Küsschen, der Alltag findet draussen statt und Fussball ist fast eine Religion. 

 

«Das brasilianische Volk ist wie ein Fluss-es fliesst, es passt sich an, es tanzt über Steine hinweg.»

Ab über die Grenze

Einreise? Zack, zack – angenehm unkompliziert. Stempel in die Pässe, Auto raus aus dem einen Land, rein ins nächste – erledigt. Kaum drin, drehen wir schon wieder um und fahren zurück nach Chuy, dem Grenzort zwischen den beiden Welten.

 

 

Noch schnell einkaufen. Endlich wieder ein grösseres Fruchtangebot – und keine Schnappatmung mehr an der Kasse. Alles deutlich günstiger hier im neuen Land. Herrlich!

 

 

Dann entdecken wir «leider» das Tax-Free-Shoppingcenter. Wein, Bier, ein Brandy, feine Süssigkeiten und noch so manch unnötig-leckeres wandert aufs Förderband.

 

 

Glücklich über unsere essbaren Schätze steuern wir das Meer an.


Mit dem Unimog dem Strand entlang

Wir wollen ihn bezwingen – den längsten befahrbaren Strand der Welt: den Praia do Cassino. Von Chuy an der Grenze zwischen Uruguay und Brasilien soll’s losgehen, 250 Kilometer feinster Sand bis nach Balneario Cassino. Doch am Meer angekommen, ziehen wir lange Gesichter. Wo bitte ist der Strand?

 

Die breite Sandfläche, normalerweise 50 bis 100 Meter breit, liegt heute unter tosenden, ruppigen Wellen begraben. Statt Strand nur brausender Atlantik. Im Satzwasser wollen wir nicht fahren – also drehen wir um und versuchen es bei einer anderen Einfahrt. Doch auch dort dasselbe Bild: Sturm, Wind, Wellen und Frust.

 

Wir geben uns geschlagen – vorerst. Bleiben über Nacht und hoffen auf Besserung. Unser Wetter-App verspricht zumindest etwas Entspannung am nächsten Tag.

 

Und tatsächlich: Der Morgen weckt uns mit Sonne, stahlblauem Himmel und nur noch moderatem Wind. Schnell in die warmen Sachen und raus. Der Strand ist wieder da – noch nicht breit, aber sichtbar. Hoffnung keimt auf.

 

Wir marschieren drei Kilometer der Küste entlang, checken die Flussläufe, die sich quer über den Strand ziehen. Sind sie passierbar? Ja, sieht gut aus. Wir wagen es. Vorher noch Kalorien tanken, Reifendruck runter für mehr Auflagefläche – und dann: Zündung.

 

Der Unimog rollt los. 250 Kilometer Sandpiste liegen vor uns. Mal schnurrt er, mal brummt er sich durch weichere Passagen – wir ziehen die ersten Spuren in den Strand und hinterlassen Abdrücke wie auf einer frischen Leinwand. Es fühlt sich an wie eine Szene aus Mad Max – nur mit mehr Möwen und weniger Apokalypse.

 

Rechts von uns der donnernde Atlantik, links locken kleine Dünen. Spontan parken wir den Unimog und laufen los – rein in die Dünenlandschaft. Der Boden ist überraschend hart. Immer nur geradeaus ist ja langweilig – also: ab ins Abenteuer. Bonusrunde.


Ein Tag an der Lagune

Bald schon knirscht der Sand im Getriebe, den Schuhen und sogar zwischen den Zähnen. Der Unimog wühlt sich durch Mulden und über kleine Hügel, bis plötzlich eine Lagune vor uns auftaucht: still, geheimnisvoll, wunderschön.

 

Natürlich testen wir sofort das Wasser. Ein kurzer Schrei – «arschgagokalt» ist nur der Vorname. Ein schneller Fingercheck: tatsächlich Süsswasser! Damit hätten wir nicht gerechnet.

 

Dani macht sich bereit zur Kite Session – die Winde sind gut. Die ganze Lagune gehört ihm allein. Mein Job? Kamera zücken und alles festhalten. Durchgefroren, aber mit breitem Grinsen kehrt er zurück. Ein heisses Fussbad, Suppe und warm einpacken helfen beim Auftauen.

 

Ich? Ich kann nicht widerstehen. Nackt aus dem Unimog direkt in den See. Kurz, kalt, grossartig. Zurück an Bord landen meine eiskalten Füsse direkt im Abwaschbecken – für ein improvisiertes, aber herrlich heisses Fussbad.

 

Ein unglaublicher zweiter Tag in Brasilien, der in einem Sonnenuntergang endet, der alle Farbpaletten durchspielt.

 

Am nächsten Morgen geht’s weiter, retour auf den Strand. Vögel begleiten uns, keine anderen Reifenspuren weit und breit. Wir sind allein – komplett. Ein Gefühl von grenzenloser Freiheit macht sich breit. Hand aufs Herz: auch ein Hauch von Abenteuerlust, Mut und Wagemut schwingt mit. Ganz alleine so eine Tour zu fahren, das ist nicht alltäglich. Am Ende des Tages ist der Unimog sandgestrahlt, salzig – und wir rundum glücklich.


Einmal durchwaschen bitte!

Wieder festen Boden unter den Rädern, hören wir am Auto sonderbare Geräusche, die wir so noch nie gehört haben. Wir müssen ihn aber zuerst mal reinigen, damit wir überhaupt etwas sehen können. Unsere abendliche Suche nach einer Waschanlage bleibt erfolglos und so kommt es, dass wir einen eher hässlichen Stellplatz hinnehmen und ihn mit vielen LKW-Fahrern teilen müssen. Man kann nicht immer gewinnen – und ohne Kontrolle fahren wir besser nicht mehr weiter.

 

Nach einer erstaunlich ruhigen Nacht geht die Suche weiter, nach einem Wellnessstudio für unseren Unimog und wir werden fündig. Zwei Arbeiter reinigen gerade einen Lastwagen. Wir sind die Nächsten und warten lange – sehr lange. Sie nehmen es offenbar sehr gründlich. Kaum sind wir dran, sind sie auch schon wieder fertig und machen Mittagspause. Nun gut, dann warten wir eben weiter geduldig.

 

Beim Zurückkehren aus der Pause teilen sie uns mit, dass wir fertig sind. Aha. Es ist aber weit entfernt von auch nur annähernd sauber – und so kommt es, dass Dani und ich selber Hand anlegen. Das ist ihnen so gar nicht recht, und sie helfen nochmals mit. Die beiden faulen Schlawiner sind ihr Geld nicht wert und können oder wollen uns auch kein Retourgeld geben.

 

Wir sind da mittlerweile tiefenentspannt und nehmen es gelassen – hoffentlich ist nicht ganz Brasilien so. Früher hätte ich die Nerven verloren und auf meinem Recht beharrt – beim Reinigen wie auch beim Geld. Heute ist es eine kleine Episode unseres Reisealltags, die ich gerne mit euch teile. Wir finden auch Tage später noch Sand in irgendeiner Ritze – aber egal, es ist jedes Sandkorn wert.

 

Dani liegt unter dem Fahrzeug und sucht die lärmende Stelle. Mit dem Gummihammer grenzt er die Zone ein. Eine kurze Testfahrt – ich fahre, Dani steht auf dem Trittbrett – bestätigt die Vermutung: Es ist der Auspuff. Und tatsächlich, unten an der Aufhängung zeigen sich Risse – vermutlich verursacht durch die vielen und dauerhaften Vibrationen. Also nichts Schlimmes, wir können weiterfahren und die Stelle später schweissen lassen.


Die grösste Lagune Südamerikas

Weiter geht’s nach São Lourenço do Sul, einem kleinen Städtchen am herrlichen Lagoa dos Patos. Sie ist die grösste Lagune Südamerikas – fast zwanzigmal so gross wie der Bodensee – und eine der bedeutendsten Küstenlagunen weltweit. Ein schmaler Sandstreifen trennt die Lagune vom Atlantik und schafft so ein einzigartiges Brackwasser-Ökosystem. Ein hübscher Ort – und es ist eine Leichtigkeit, einen Nachtplatz zu finden. Mit einigen anderen schlendern wir der Küste entlang, schauen den Segelbooten zu und bewundern die alten Kutter. Eine kleine lokale Leckerei, die wir genüsslich probieren, versüsst uns den Abend.

 

Weiter geht’s via Porto Alegre, der Hauptstadt des Bundesstaates Rio Grande do Sul. Wir lassen sie jedoch links liegen – es zieht uns ins Hinterland. Der Verkehr nimmt langsam zu, und schon bald stockt er auf der Gegenfahrbahn. Viele Menschen sitzen dort, Matetee schlürfend, auf ihren gestreiften Campingstühlen am Strassenrand, hören laut Musik, die aus überdimensionalen Autoboxen dröhnt, und schauen dem Verkehr zu.


Dois Irmãos

In Dois Irmãos, einer kleineren Stadt, finden wir in einer Sackgasse am Waldrand einen wunderbaren Parkplatz. Es dauert nicht lange – und schon lernen wir unsere Nachbarn kennen. Wir werden herzlich umarmt, willkommen geheissen und reichlich beschenkt. In dieser Gegend leben viele eingewanderte Deutsche und Italiener – so kommt es, dass wir Deutsch sprechen. Untereinander verständigen sie sich auf Hunsrückisch, einem deutschen Dialekt, der ursprünglich aus dem Hunsrück in Rheinland-Pfalz stammt. Im 19. Jahrhundert wanderten viele Deutsche nach Brasilien aus und brachten ihre Sprache mit. Der Dialekt hat sich über Generationen hinweg erhalten, weiterentwickelt und mit portugiesischen Wörtern vermischt. Manche Kulturvereine und Schulen setzen sich aktiv für den Erhalt dieser sprachlichen Besonderheit ein.

 

 

Ich habe euch doch von den «Matetee-Tassen» und dem kleinen Sieb erzählt – auch hier wird diese Tradition zelebriert. Wir bekommen von Mara, unserer Nachbarin, alle Zutaten geschenkt, und das Matepulver mag ich richtig gern – es erinnert geschmacklich stark an Grüntee. Ab morgen sauge also auch ich am Röhrli – der Bombilla. Eine kulturelle Annäherung an eine uralte südamerikanische Tradition!

 

 

Die Zeichnung von Maria, ihrer Tochter, schmückt ab sofort unseren Kühlschrank – danke dafür.

 

Nach einem feinen Frühstück – mit typischen, Käse gefüllten Teigtaschen, selbstgebackenem Bananenkuchen und verschiedenen hausgemachten Marmeladen – bei Mara und ihrer Familie, einer warmen Dusche und spannenden Gesprächen, machen wir noch eine kleine Stadtbesichtigung. Einmal mehr erleben wir ehrliche, wunderbare Gastfreundschaft – und fahren mit gefülltem Bauch und Herzen los.


Eine Mischung aus Deutschland und der Schweiz

Die Route führt über viele Kurven durch die Serra Gaúcha. Die Strecke Rota Romântica gilt als eine der bekanntesten und schönsten Strassenrouten Brasiliens. Sie verbindet die hübschen Dörfer Nova Petrópolis, Picada Café, Gramado und Canela miteinander. Alle stehen auf unserer Liste – zwei davon werden wir bestimmt besuchen.

 

Der Name der Strecke stammt von der europäischen Atmosphäre der Region: Fachwerkhäuser, blumengeschmückte Strassen, ein eigenes Oktoberfest – und das Ganze eingebettet in eine hügelige Landschaft mit Weinbergen, Wäldern und Wasserfällen. So malerisch, so romantisch. Ein kleines «Fährtlein» – fast wie durch die Heimat.

 

Wir stoppen in Gramado einem touristischen Ort und schlendern durch die hübschen Strassen, werfen Blicke in die Schaufenster. Es wirkt wie ein Alpen-Städtchen – mit seinen Holzhäusern, der vielen Schokolade und an jeder Ecke wird Fondue angepriesen. Die Brasilianer kommen hierher, um die «Kälte» zu erleben und heisse Schokolade zu trinken. Es ist eine Mischung aus Kitsch, Kommerz und einem Hauch von Charme. Für uns ist es witzig, dieses uns unbekannte Brasilien zu entdecken – und da wir ja schon lange nicht mehr daheim waren, auch irgendwie heimelig.

 

Leider ist der Hunger nach dem üppigen Frühstück noch zu klein für warmen Käse – also verzichten wir aufs Fondue und kaufen stattdessen ein wenig Schoggi. Überraschend gut, diese brasilianische Schokolade! Nicht nur die Schweizer können das – auch die Inder und die Brasilianer beherrschen das Handwerk.


Canela – ein Happening

Wir fahren noch ein paar Kilometer weiter bis nach Canela. Beim Sportplatz drehen wir den Zündschlüssel und richten uns für den Abend ein. Schon bald klopft es – und es folgt die nächste Einladung. Morgen gibt’s bei Luis einen brasilianischen Zmittag – ich nehme an Churrasco, also eher Fleisch lastig. 

 

Am Abend ziehen wir nochmals los, um die Catedral de Pedra zu besichtigen. Die bunt beleuchteten Glasfenster und die illuminierte Kirche wirken eindrücklich. Vor dem Eingang spielt ein junger Mann wunderschöne klassische Musik – wir verharren einen Moment in Stille und geniessen die besondere Atmosphäre.

 

Kaum vom Joggen zurück, steht der französische Bäcker aus dem Dorf mit frischen Croissants vor der Tür. Eine Augenweide – aber wir heben sie uns auf. Dann kommt Sven vorbei, der uns in Schweizerdeutsch begrüsst. Er ist hier aufgewachsen, hat aber von seinen Eltern noch Deutsch gelernt – sein Sohn spricht es leider nicht mehr.

 

 

Pünktlich treffen wir bei Luis ein und werden von der ganzen Familie herzlichst begrüsst. Der Chef steht in roter Kochschürze mit einem riesigen Lächeln vor fünf Grillspiessen, an denen mächtige Fleischstücke brutzeln. Kaum sind alle begrüsst, steht Dani, an seinem Campari nippend, an der Grillstelle und strahlt – wer soll das alles essen? Ich bekomme selbstgemachten Guavesirup mit Tonic – herrlich erfrischend! Die Frucht wächst hier wild, in Gärten oder Plantagen, und ist reich an Vitamin C und Antioxidantien.

 

 

Der Tisch biegt sich unter dem vielen Essen – für mich ein Vegi-Himmel. Es gibt unglaublich viele spezielle, köstliche Gemüsegerichte. Dani isst – wie alle – reichlich Fleisch, das offenbar ausgezeichnet schmeckt. Dazu ein Glas Wein, liebe Worte und spannende Geschichten. Wir erfahren einiges über die aktuelle Lage im Land, und sie zeigen uns Fotos und Videos von den massiven Überschwemmungen, die sie letztes Jahr um diese Zeit hatten – üble Bilder, die sich kaum vom Rest der Welt unterscheiden.

 

Zum Dessert gibt es selbstgemachten Limoncello und Gebäck.

Was für ein Erlebnis – danke euch allen!


Vor uns öffnet sich der Abgrund

Die Erde fällt plötzlich ab – vor uns öffnet sich der Abgrund

Später am Nachmittag fahren wir weiter in Richtung Canyon Fortaleza. Lange finden wir keinen geeigneten Stellplatz – bis wir an einem Tulpengarten vorbeifahren. Die Angestellten des Tulpengartens – der noch im Aufbau ist – können nicht entscheiden, ob wir hier übernachten dürfen. Kaum hat die eine Angestellte versucht, den Chef zu erreichen, biegt dieser schon mit seinem im Pickup um die Ecke. Noch bevor er richtig ausgestiegen ist, stelle ich uns in bestem Spanisch vor – Portugiesisch beherrschen wir noch nicht. Er lacht herzlich und sagt in perfektem Deutsch: «Natürlich dürft ihr hier übernachten.»

 

Ottos Urgrosseltern sind vor vielen Jahren ausgewandert – das Deutsch wurde über Generationen weitergegeben. Wir lernen viel über sein Projekt und auch über die riesigen, wunderschön gewachsenen Araukarien (Paraná-Kiefern), die hier wachsen. Er zeigt uns die Samen – Pinhão – die wir roh probieren dürfen, und führt uns durch seinen leicht zerzausten, aber gut bestückten Kräutergarten. Die Schafe, die heute wohl durchzogen und haben sich bedient. Das stört Otto nicht weiter – «Die landen letztendlich an meinem Grillspiess», meint er trocken.

 

Am nächsten Morgen machen wir uns früh auf den Weg in den Nationalpark Serra Geral, nahe Cambará do Sul. Unsere geplante Wanderung führt uns am Rand des Canyons entlang. Ehrfürchtig blicken wir in die Tiefe und hoffen, dass uns nicht schwindlig wird. Caracaras – Raubvögel – kreisen suchend nach Thermik über unseren Köpfen, ihre Schreie hallen durch die stillen Täler.

Der Canyon Fortaleza ist der grösste Brasiliens, etwa 7,5 km lang und bis zu 900 Meter tief. Wir haben Glück: Im Herbst liegt hier oft dichter Nebel – heute aber geniessen wir perfekte Fernsicht. Die Stille wird nur vom Wind und vereinzelten Vogelrufen durchbrochen. Unsere Route führt unter anderem zum Cachoeira do Tigre Preto, einem Wasserfall, der rund 250 Meter schwerelos in die Tiefe stürzt. Oben fliesst das Wasser noch gemächlich – wie so oft, kann ich nicht widerstehen und mache einen kurzen Abstecher hinein.

 

Bevor wir den Park verlassen, drehen wir uns ein letztes Mal um und nehmen Abschied von diesem eindrücklichen, einsamen Ort. Die letzten zwei Kilometer führen über eine kaum befahrene Schotterstrasse. Doch kaum losgelaufen, hält ein Ranger an und öffnet die Tür – das lassen wir uns nicht zweimal sagen.

 

Müde, hungrig und zufrieden kehren wir zurück in den Tulpenpark. Otto hat uns erlaubt, nochmals hier zu übernachten. Danke, Otto – und von Herzen alles Gute für dein grossartiges Projekt!


Itaimbezinho – eine Portion Ehrfurcht

Nach einer gewittrigen Nacht scheint heute unerwartet die Sonne durch die Fenster. Schnell ans Steuer – und die Gunst der Stunde nutzen! Itaimbezinho ist unser Ziel – der wohl berühmteste Canyon Brasiliens, versteckt zwischen Kiefernwäldern und Kuhweiden. Die Region gehört zum UNESCO Global Geopark, der 2022 offiziell anerkannt wurde.

 

Wir sind die einzigen – oder zumindest die ersten – die am Parkplatz ankommen. Wir laufen den Trilha do Vértice, einen gemütlichen Pfad mit Postkartenblick, und füllen unterwegs unsere Jackentaschen mit Pinhãos. Die Aussicht auf steil abfallende Felswände, rauschende Wasserfälle und den tobenden Fluss tief unten im Canyon ist atemberaubend – sogar noch eindrücklicher als gestern. Ein Ort, weit weg von Strand und Samba – ein Brasilien, das eher an Europa erinnert als an das, was man sich gemeinhin darunter vorstellt.

 

Die unterwegs aufgelesenen Samen – ganz sicher ein «Superfood» – kochen wir abends in Salzwasser. Eine Herkulesaufgabe, diese heissen Dinger zu schälen, aber es lohnt sich: Sie schmecken hervorragend und erinnern ein wenig an Maronen.


Florianópolis Insel der Winde, Lagunen und schicken Lokale

Nach einer weiteren stürmischen Nacht irgendwo im Nirgendwo brechen wir früh auf. Heute geht’s über Dünen und Sandstrände weiter Richtung Florianópolis. Wir haben gelesen, dass es eine kleine Fähre von Santa Maria nach Laguna gibt – und tatsächlich: Kaum am Hafen angekommen, schippert sie auch schon heran.

 

Die kurze Überfahrt wird durch eine neugierige brasilianische Reisegruppe zum kleinen Happening. Wir werden für Fotos drapiert, dürfen endlose Fragen beantworten und herzliche Umarmungen geniessen. Immer wieder herzerwärmend – diese Brasilianer mit ihrem überschäumenden Temperament und ihrer lebensfrohen Art.

 

Nach Bergen, dichtem Wald, staubigen Pisten und Dünen erreichen wir über eine Brücke die Insel Florianópolis – oder wie die Einheimischen sagen: Floripa. Der Name klingt schon nach Caipirinha und Flipflops – und genau so fühlt es sich auch an.

 

Kaum haben wir die Hauptachse verlassen, werden die Strassen immer enger, und schon bald kurven wir durch kleine, verschlafene Orte. In Sambaqui, einem kleinen Fischerdorf, würgen wir den Unimog durch eine schmale Baumlücke direkt auf einen kleinen Sandstrand, nur wenige Meter vom Wasser entfernt. Jetzt in der Nebensaison ist alles gemütlich entspannt und nahezu leer. Ich weiss nicht, ob wir im Sommer, in der Hochsaison, hier so wild campieren könnten.

 

Die Wellen plätschern leise ans Ufer – das erste Mal seit Wochen. Auch der Wind hat sich gelegt. Zum ersten Mal seit Langem peitscht er uns nicht um die Ohren – und sogar Dani, mein liebster Warmduscher der Welt, steigt in die Badehose und wagt sich ins Meer.


Rhythmus, mit dem mit muss

Am nächsten Morgen bin ich schon früh in den Joggingschuhen unterwegs und drehe eine einsame Runde durch die engen Gassen. Kaum zurück, bleibt mir gerade noch Zeit, die Schuhe zu wechseln – und schon geht’s weiter. Wir sind zum Paddeln eingeladen, in einem Va’a, einem speziellen Kajak aus Polynesien und Tahiti. Diese besondere Art des Kanusports scheint hier sehr beliebt zu sein.

 

In unserer Version können bis zu zwölf Personen paddeln – es gibt aber auch Einer-Varianten. Gemeinsam mit der Gruppe und ihrem «Kapitän» Lukas gleiten wir in Richtung eines Wettkampfs dieser Sportart. Alle etwa fünfzehn Schläge ertönt der Ruf «hip!» – dann wechselt das gesamte Team synchron die Seite und paddelt weiter. Sehr ruhig gleiten wir durchs Wasser, und ich werde innerlich ganz still – dieses gleichmässige, kollektive Dahingleiten hat etwas Meditatives.

 

Wir bleiben noch eine Weile beim Anlass, doch irgendwann wird mir kalt – die verschwitzten Joggingkleider fordern ihren Tribut. Also laufen wir zurück, baden, frühstücken, und schwingen uns anschliessend aufs Velo – zurück ins Dorf.

 

Und plötzlich ist da Leben! Wo am Morgen noch Ruhe herrschte, tobt jetzt das pure Inselleben. Zum Mojito werden frisch gezüchtete Austern geschlürft, es wird gelacht, getanzt – wie ein grosses Dorffest. Aber das ist hier vermutlich jedes Wochenende so.

 

An einem der Marktstände erstehe ich – wie so oft – ein neues Armbändeli. Heute ein handgemachtes mit sieben verschiedenfarbigen Steinchen – ein Chakra-Armband.


Ein Kolibri – aber kein Foto

Beim Aufwachen hören wir den Regen aufs Dach prasseln. Also gut, nutzen wir die Zeit zum Weiterfahren. Zuerst geht’s Richtung Norden – es scheint, als würde hier der Jetset wohnen. Schöne Villen mit edlen Karossen davor prägen das Bild. Doch das ist nicht unsere Welt, also drehen wir kurzerhand um. Im Süden – da fühlen wir uns wohl, leere Sandstrände, staubige Wege und eine entspannte Atmosphäre, wie wir sie mögen.

 

Mittlerweile steht die Sonne wieder hoch am Himmel, und wir beschliessen, mit dem Boot nach Costa da Lagoa zu schippern. Von dort aus führt ein acht Kilometer langer, autofreier Küstenweg bis nach Lagoa da Conceição. Wunderschön exotisch spazieren wir unter Palmenwedeln, bunten Blumensträuchern und durch Bambuswälder dem Uferweg entlang – und plötzlich erblicken wir einen nervös flatternden Kolibri. Kein Foto – aber ein magischer Moment.

 

Ich werde das Gefühl nicht los, dass hier das Motto «am Morgen ein Joint, und der Tag ist dein Freund» ganz gut passt. Dazwischen gönnen wir uns ein kühles Bier und ein leckeres Eis. Zurück geht’s mit einem öffentlichen, günstigen Verkehrsmittel – denn wo keine Busse fahren, verkehren hier Boote.

 

 

Kaum wieder am Steg, hören wir, dass irgendwo eine Waldtechnoparty steigt. Nichts wie hin – man muss die Feste feiern, wie sie fallen! Leider dröhnt die Musik aus überdimensionalen Autoboxen so schrill und übersteuert, dass uns bald die Ohren schmerzen. Schade – aber für ein kurzes Abtanzen hat’s gereicht.

 

 

Erstaunlicherweise ist es nachts ruhig. Wir schlafen gut – trotz Vollmond. Für mich sind Vollmondnächte sonst oft schlaflose Stunden. Zum Werwolf mutiere ich zwar nicht – aber wer’s kennt, weiss: mühsam kann’s trotzdem sein.

 

 

In Barra da Lagoa, einem chilligen Dörfchen, lassen wir es uns gut gehen. Zwischen Capoeira am Strand, frisch gegrilltem Tofu und – natürlich – einer Açaí-Bowl geniessen wir den entspannten Mix aus Hippies, digitalen Nomaden und Menschen, die einfach nie wieder abgereist sind. Die Frucht- und Gemüseläden sind zahlreich, das Angebot macht Freude – und das Einkaufen wird zum Vergnügen.


Joaquina Beach – das Surferparadies schlechthin

Es läuft gerade wie geschmiert, und schon bald geht’s weiter zur Joaquina Beach. Dieser Strand ist ein echter Surfer-Hotspot – bekannt für seine kraftvollen, teils meterhohen Wellen. Hier finden regelmässig internationale Wettkämpfe statt – nur nicht jetzt, Ende Herbst. Mitte Juni bedeutet hier: angenehme 20 Grad, meist sonnig und mit einer Brise vom Meer. Je weiter wir nach Norden kommen, desto wärmer wird es. Unser aktueller Breitengrad entspricht dem von Ägypten – Wahnsinn, oder?

 

Direkt angrenzend an die breite Strandfläche türmen sich imposante Dünen in den Himmel – perfekt fürs Sandboarding, so finden wir. Zwei Bretter sind schnell gemietet, und schon geht’s los – mal hopp, mal flopp, die steilen Hänge hinunter. Doof nur, dass wir keine Brillen dabeihaben – der feine, aufwirbelnde Sand in den Augen hätte echt nicht sein müssen.

 

Aber egal – es macht riesigen Spass! Wir nehmen das «Paniert werden» gerne in Kauf. Ein tolles Erlebnis – und das Vergnügen ruft nach Wiederholung. Irgendwann. Irgendwo.


Lagoinha do Leste – pure wilde Natur

Auch hier ist es erstaunlich ruhig – keine Hektik, keine Musikbeschallung, und wie schon so oft: kein Müll am Strand. Das Highlight unseres Aufenthalts ist die Wanderung zur Lagoinha do Leste. Eine rund 15 Kilometer lange Rundtour, schweisstreibend und steil, führt uns durch dichten Atlantikwald. Der wurzlige, rutschige Pfad fordert unsere Beine, unser Gleichgewicht – und unsere Lungen.

 

Dann lichtet sich der Wald – und gibt den Blick frei auf einen wilden, unberührten Strand und die dahinterliegende Lagune. Keine Strasse führt hierher, keine Hotels, keine Souvenirstände – nur Natur pur. Ein echtes Paradies.

 

 

Vor Jahrzehnten war ganz Brasilien einmal so: grün, wild und atemberaubend. Bei meinem ersten Besuch vor fast 40 Jahren gab es im Hinterland weder Strom noch Infrastruktur. Was sich mir damals tief eingebrannt hat, sind die aufgeblähten Bäuche der Kinder – ausgemergelte kleine Körper mit grossen Augen, die mich an die Bilder der «Biafraner Bäuche» erinnerten. Damals gab es noch kein Instagram – und leider habe ich auch keine Fotos aus jener Zeit. Aber ich erinnere mich an Busch, Hitze, Wasserfälle, Strand – und ja, auch an viel nackte Haut, Samba und Caipis.

 

 

Am letzten Strand, den wir auf dieser Tour erreichen, liegt ein kleines, charmantes Restaurant – die perfekte Gelegenheit für ein kühles Bier. Toll, dass es hier fast überall auch alkoholfreie Varianten gibt.

 

 

Dani hat inzwischen eine E-Mail von Mercado Livre erhalten: Seine online bestellten Artikel müssen innerhalb von drei Tagen in São Paulo abgeholt werden. Ja bravo – wir sind noch 700 Kilometer entfernt.


Blumenau – die Enttäuschung, Pomerode  – die Überraschung

Wir entscheiden uns für die Route durch die Hügel – vorbei an üppigem Grün, das sich rechts und links der Strasse ausbreitet. Unser Ziel: Blumenau, eine sogenannte «deutsche Stadt». In der Hoffnung, dort unsere Schweissarbeiten erledigen zu lassen, steuern wir sie an. Weit gefehlt – der Ort wirkt auf uns schmucklos, ja fast hässlich. Das einzig Schöne: ein Käsekuchen im Caféhaus des Ortes – zusammen mit zwei anderen Reisenden, Julia und Walter. Ein Lichtblick.

 

Also fahren wir noch ein Stück weiter – und landen in Pomerode. Ebenfalls deutsch geprägt, aber mit ganz anderem Charme: zuckersüss, gepflegt, mit vielen kleinen, netten Geschäften. Und – mit etwas Glück – bekommen wir sogar eine Adresse eines Betriebs, der Edelstahl schweissen kann.

 

Kaum sind die Augen am nächsten Morgen offen, fahren wir die paar Meter zur Werkstatt. Und tatsächlich: Nach nur 1,5 Stunden rollen wir mit frisch verschweisster Aufhängung wieder vom Hof.

 

Nach über 300 Kilometern – mehr als fünfeinhalb Stunden Fahrt – haben wir genug. Wir parken an einer Tankstelle, einem hässlichen, rein zweckmässigen Stellplatz. Die Nacht ist laut und kurz. Frühmorgens sind wir wieder unterwegs – um die letzten Kilometer abzubauen.


São Paulo – zwei Welten, die weiter auseinander nicht sein könnten

Die erste Welt – die Armut

Nur wenige Kilometer von Brasiliens Traumstränden entfernt herrscht bittere Armut. In jeder Stadt gibt es sie: die Favelas, die Kriminalität, den Drogensumpf. Armut ist keine Randerscheinung – sie ist Alltag für Millionen. Als wir durch die riesige Stadt fahren, taucht plötzlich eine andere Welt auf: kleine Hütten aus Holz und Wellblech, aufgetürmte Müllsäcke, verwahrloste Kinder – pure Not und Elend.

Auch wenn wir solche Bilder schon kennen, macht es uns erneut tief betroffen. Ein Mann, der recyclierbare Materialien wie Dosen, Plastik oder Karton sammelt, erhält rund 0.10 Franken pro Kilo. Mit Glück kommen so vielleicht 5 Franken pro Tag zusammen. Etwa 30 % der brasilianischen Bevölkerung lebt an oder unter der Armutsgrenze – das sind rund 60 Millionen Menschen. Der reichste Brasilianer besitzt geschätzte 15 Milliarden US-Dollar.

 

Die zweite Welt – die Äusserlichkeiten

Gleichzeitig boomt in São Paulo das Geschäft mit der Schönheit. Das Skalpell ist ein gängiges Werkzeug – und nein, keine Sorge: Ich lege mich nicht unters Messer. Aber wie schon in Dubai habe ich auch hier das Gefühl, dass ein ästhetischer Eingriff fast schon zum guten Ton gehört.

 

An jeder Strassenecke lächelt ein makelloses, straffes Gesicht mit perfekter Mini-Nase von den Plakaten. Hier wird vergrössert, verkleinert und modelliert – gerade so, wie es die Trends vorgeben. Und das wird ganz offen diskutiert. Keine verschämten Blicke, kein peinliches Schweigen – stattdessen gibt es Tipps, Empfehlungen und Erfahrungsberichte. Die Preise? Deutlich günstiger als bei uns. Und die Qualität? Vermutlich gleichwertig, wenn nicht gar besser.

 

Fasziniert beobachte ich die vielen Gesamtkunstwerke – und wer mich kennt, weiss: Ich kann ungeniert lange hinschauen. Und hier stört das niemand. Vielleicht setze ich mich demnächst einfach auf eine zentrale Bank und stille meine Neugier.

 

 

Zwischen Logistik und Verkehrsstau

Doch zuerst müssen wir noch Pakete und den Laptop abholen. Freunde von Dani haben ihn für uns in einem Hotel deponiert.

 

Wir wurden unzählige Male gewarnt, nicht durch die Stadt zu fahren. Dauerstau, unübersichtliche Abzweigungen, Verkehrsregeln, die je nach Wochentag gelten. Also habe ich im Vorfeld alles geprüft: Heute, Freitag der 13. Juni, dürfen wir mit unserem Nummernschild uneingeschränkt in die Stadt fahren. An anderen Tagen gäbe es je nach Endziffer des Nummernschilds Einschränkungen – etwa mittwochs nur zu bestimmten Uhrzeiten.

 

Wir starten früh, kurz vor sieben – in der Hoffnung, dem Stau zu entkommen. Leider vergeblich. Die letzten Kilometer kosten uns viel Zeit. Aber: Wir bleiben entspannt, erledigen stressfrei alle Abholungen in den Shops und im Hotel – und verlassen die Stadt wieder ohne Zwischenfälle.

 

Es klingt vielleicht überheblich, aber wer im indischen Verkehr klarkommt, schafft es in jeder Stadt der Welt. São Paulo war – entgegen aller Warnungen – absolut unproblematisch und unspektakulär. Sorry, keine Räubergeschichten diesmal.

 

Ein herzliches Dankeschön

Grossen Dank an Renate und Rolf fürs Mitbringen des Laptops – und an Sven: Danke, dass wir deine brasilianischen Accounts für unsere Onlinebestellungen nutzen dürfen!


Unimog – Angolano – Brasilien

Wir stehen in Guarulhos, einem Vorort von São Paulo, für ein paar Tage sicher in einer Werkstatt. Ricardo alias Angolano, der Besitzer, ist selbst stolzer Besitzer mehrerer Unimogs und Präsident des brasilianischen Unimog-Clubs. Unter Reisenden ist bekannt, dass man bei ihm zuverlässig allerlei Reparaturen erledigen lassen kann. Bei uns geht’s um die zahlreichen rostigen Stellen am Unterboden.

 

Der Stellplatz ist – sagen wir – hässlich, laut, aber zweckmässig. Jeden Abend strotzen wir vor Dreck. Die Arbeiter schrauben ab, was sich abschrauben lässt, schleifen den Rost ab und streichen alles frisch. Ein armer Kerl liegt stundenlang unter dem Auto, schleift mit stoischer Ruhe – seine Arme werden abends sicher brennen.

 

Dani nutzt die Zeit, um seinen neuen Laptop einzurichten und ein paar anstehende Arbeiten zu erledigen. Auch die kleinen Reparaturen an unseren Mückengittern stehen an – flicken, kleben, nähen. Und natürlich will er endlich sein Raspberry-Pi-Projekt zu Ende bringen.

 

Ricardo, seine Partnerin Karin und die Kinder sind unglaublich herzliche, hilfsbereite Menschen. Wir fühlen uns willkommen und sehr wohl – so kommt es, dass wir viele Abende gemeinsam verbringen und mit ihnen und ihren Freunden Geschichten austauschen.

 

Meine Tage sind weniger spektakulär – eigentlich putze ich nur Dreck, der durch offene Fenster, Kleidung und Füsse in die Box gelangt.

 

Heute ist Fronleichnam – die Werkstatt bleibt geschlossen. Der Einzige, der schraubt und bohrt, ist Dani. Wie wohltuend: ein Tag Ruhe für Ohren, Nase und Lunge. Unterstützung bekommt er von Boy, dem unglaublich lieben Hund, der hier lebt und Dani mit seiner feuchten Zunge gerne durchs Gesicht leckt.

 

Ich raffe mich derweil auf, besuche die Kirche in der Nähe und verweile einen Moment, um jungen Menschen beim kreativen Gestalten eines Sandmosaiks zuzuschauen – still, konzentriert und mit ganz viel Hingabe.


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