Blog #27c, Marlene (Juli 2023, Pakistan Teil III)
Am Morgen entscheiden wir in tiefere Lagen zu fahren und enden im Rupal Tal. Wir sitzen in einem kleinen Restaurant mit Rooftop, bestellen Daal und Tee mit lokalen Kräutern. Wir starren ehrfürchtig an die weisse Eiswand des Nanga Parbat Massivs (8126 Meter). 15km von hier befindet sich eines der Basislager für die Besteigung des Killer Mountain, wie er auch genannt wird. Wir entschliessen uns spontan für einen Marsch dorthin.
Den Stellplatz für die nächste Nacht finden wir auf dem Parkplatz des Rupal Resorts. Kaum sitzen wir im Garten der gepflegten Anlage, serviert uns der Besitzer einen Bergtee und offeriert uns kurz unter die warme Dusche zu hüpfen. Ouuu, eine warme Dusche! Er weiss nicht, welche Freude er uns damit macht. Meine Haare haben seit 23 Tagen kein Wasser mehr gesehen. Wäre absolut undenkbar gewesen, in meinem früheren Leben. Die graue Haarpracht ist viel trockener und braucht keine so intensive Pflege mehr, herrlich.
Am nächsten Morgen um 06.00 Uhr stehen zwei Motorräder mit Fahrer für uns bereit. Mich chauffiert der Dorfpolizist auf seinem Dienstmotorrad. Ein mulmiges Gefühl überkommt mich auf dem Sozius, dem Fahrer ausgeliefert zu sein. Die Wege sind so schlecht und es rüttelt uns komplett durch. Mein Rücken leidet.
Nach etwa einer gefühlten Stunde endet die befahrbare «Strasse». Entschlossen marschieren wir los, überqueren den Bazhin Gletscher oder was davon noch vorhanden ist und nach 2 Stunden erreichen wir das Basis Camp 1. Da gibt es eigentlich nichts zu sehen, da nicht mehr vorhanden. Wir befinden uns auf ca. 3’600m, legen den Kopf in den Nacken und schauen die 4,5 km hohe Eiswand hoch. So etwas gibt es nur in Pakistan am Nanga Parbat zu sehen. Nirgends kommt man so einfach so nahe an einen 8’000-er heran. Wir sind eigentlich nur noch ca. 10 km vom Gipfel entfernt. So Nahe und doch so fern.
Zurück im Garten des Resorts ein bescheidenes Frühstück, bevor die ersten Tropfen fallen. Wir beschliessen bei diesem Wetter hier die Zelte abzubrechen und langsam in Richtung Islamabad zu fahren.
Retour dem Indus entlang blickt uns teilweise wieder die Armut entgegen. An Sandbänken des Flusses, haben Goldschürfer ihre Zelte aufgeschlagen. Sie leben am Ufer mit ihren Familien. Die Kinder wirken sehr verwahrlost aber hüpfen alle im Wasser rum oder wälzen sich im Sand. Eine andere Welt, eine Welt die uns Unbehagen auslöst, wir aber nicht ändern können. Die Kekse die wir aus dem Fenster reichen werden strahlend entgegengenommen. Mehr können wir nicht machen. Geld geben ist für uns keine Option.
Wir fahren über den Babusar Pass 4’173 Meter zurück in Richtung Islamabad. Holla hossa! Oben angekommen trauen wir unseren Augen nicht. Da geht die Post ab und Musik dröhnt aus den Autos. Eine Party im Schlamm ist da im vollen Gange. Wir mischen uns unter die dichtgedrängten Menschen resp. Männermassen, was dann aber in einen Spiessrutenlauf ausartet. Wir werden permanent angesprochen, fotografiert und rumgereicht. Es wird mir zu viel und ich möchte zurück ins Auto. Zuviel Testosteron, zu viel anfassen und zu viel Nähe. Alles lieb gemeint aber wir sind hier nicht im Zoo.
Kaum einige Meter weiter werden wir am gefühlt 2'412. Check Point angehalten. Wir überreichen wie immer unsere vorbereitete Kopie mit Pass und Autodetails dem Beamten. Ich weiss nicht wieviel solcher Kopien wir schon abgegeben haben. Aber einfacher ist es allemal als jedes Mal auszusteigen und alle Angaben ins dicke Buch einzutragen. Wir werden hier allerdings so herzlich begrüsst und zum Tee eingeladen, dass wir erneut parken und leckere fettige Samosas sowie zuckersüssen Tee geniessen.
Wir stehen im Stau und werden rechts und links von anderen überholt welche dann die Strasse so verstopfen, dass die entgegenkommenden Autos auch nicht mehr fahren können. Es beginnt ein Hupkonzert alles dauere doppelt so lange, weil es weder vorwärts noch rückwärtsgeht. Oder entgegenkommenden Fahrzeuge fahren lichthupend mittig in der Strasse oder auf unserer Strassenseite. Ok wir können jetzt die Klippen hinunterstürzen, in die Felswandwand fahren oder fliegen – eben alles Affen. Zwei Ohren und eine Blase Luft dazwischen.
Dani braucht zwischendurch eine Pause und etwas Erholung. Wir parken, wie alle am Strassenrand, und laufen runter an den Fluss ins Grüne. Wir kommen nicht weit, wie soll es denn auch anders sein. Der Besitzer der kleinen Oase möchte ein Foto von uns. Er lädt uns zum Tee ein und erzählt von seinen Plänen, die er auf dem schönen Flecken Erde umsetzten möchte. Die Träume sind gross, das Budget klein. Wir versuchen ihm zu erklären, dass er bevor er irgendetwas plant, eine Strasse an den Fluss bauen sollte inklusive Parkplätze. Ob er es verstanden hat? Wir entdecken eine «Seilbahn» über den Fluss und Schwups sitzen wir in der maroden Kiste und Dani zieht uns auf die andere Seite. Wir sehen auf die Autokolonnen die sich ins Tal quälen und finden gerade, dass wir wieder einmal alles richtig machen.
Irgendwann müssen auch wir uns wieder in den Stau eingliedern und etliche Check Points passieren. Herrlich, wenn der Polizeibeamte
fragt was unsere Nationalität ist und uns Zwei fragend ansieht. Sir, es steht auf dem Zettel den wir ihnen soeben in die Hand gedrückt haben!! Im Ernst, die nächste Frage lautet: Reist du
alleine? Mein Gott! Dani sitzt doch neben mir. Wer lesen kann, hat’s einfacher im Leben und wer Augen im Kopf hat ebenfalls. Hauptsache irgendwas gefragt. Wir nehmen es mit Humor und er merkt
selber, dass er wohl Mist fragt und winkt uns weiter.
Hier in den Bergen ist es schwierig an frisches Gemüse zu kommen. Sieht immer alles aus als hätte ich es vor einer Woche kaufen sollen. Früchte hingegen finden wir überall. Dani bekommt auch keine Butter, Käse oder Joghurt und sein letztes ist auf dem Boden gelandet. Ich freue mich auf einen grösseren Supermarkt. Es fehlt mittlerweile dies und das. Es spricht hier die Stimme der verwöhnten Schweizer. Auf der kurvigen Strasse nach Murree werden wir von einem Motorradfahrer mit seinen zwei Mädchen auf dem Sozius überholt. Zeitweise fahren sie parallel zu uns und die grössere der beiden versucht uns etwas zu sagen. Ihre Handzeichen fordern uns auf anzuhalten. Wir denken, sie möchten die üblichen Fragen stellen und Fotos machen. Als wir jedoch aussteigen sagt die Kleinere «Grüezi». Wir sind etwas irritiert, denn sie sehen sehr pakistanisch aus. Es stellt sich heraus, dass Salman Ali in der Schweiz die Hotelfachschule besucht hat und fast ein Jahr in Zürich in der Gotthard Bar gearbeitet hat.
So werden wir kurzerhand eingeladen und verbringen einen herrlichen Abend in ihrer Ferienwohnung im Bergdorf Khaira Gali. Die Überbauung sieht dem Rock Resort in Laax sehr ähnlich und auch die Bergwelt wirkt für uns sehr heimisch. Nach einem nächtlichen Gewitter ist der Blick vom Balkon aus nun exakt so wie ein Morgen in den Schweizer Bergen aussehen kann. Nebel verschleiert die Sicht und tiefhängende Wolken aus denen es nieselt, prägen die Landschaft. Ach wie herrlich mal wieder so was zu sehen, wenigstens für ein paar Stunden.
Am Nachmittag, lösen wir uns schweren Herzens von der lieben Familie. Wir haben die Auszeit und das herrlich breite Bett, das riesige Badezimmer und die Gesellschaft genossen. Ach ja, die Familie stammt von der Königsfamilie ab. So haben uns die Kinder Mahrukh, Eshal und Shab stolz Fotos vom Familien Fort gezeigt – es ist riesig. Danke Ihr Lieben, wir haben es genossen mit euch und euren Freunden. Noch so schnell zum Thema Gastfreundschaft. Unser Auto stand bei Freunden vor dem Haus und alle haben sich über unser Erscheinen gefreut. Zum Frühstück hat ihr Nachbar extra Kollegs Cornflakes vorbeigebracht, denn das Essen bekanntlich alle Schweizer zum Frühstück. Die Menschen sind einfach grossartig, fürsorglich und zuvorkommend.
Gestern habe ich mich noch grossartig über Affen im Strassenverkehr beklagt. Heute sind wir die Affen, aber so was von doof. Wie kommt es dazu? Wir stehen im Stau in Richtung Islamabad da bemerkt Dani, dass die Einheimischen, was wir bekanntlich ja nicht sind, einen anderen Weg einschlagen. Nichts wie hinterher quer durch den Schlamm, fahren ja einen Unimog, und landen auf der gegenüberliegenden Fahrbahn des Motorway. Sprich uns kommen sehr viele Autos entgegen die alle einen Bogen um uns machen müssen. Geisterfahrer nennt man diese in der Schweiz, die kommen oft sogar als Warnmeldung im Radio. Bald erkennen wir, dass weiter vorne ein Polizist steht, Dani umfährt, nein nicht überfährt, den Mann gekonnt und wir biegen mit den anderen Geisterfahrern ab in Richtung eines Vororts der Hauptstadt.
Die Strassen werden immer engen und die Kabel hängen immer tiefer. Keine fünf Minuten später stecken wir fest. Ein geparktes Fahrzeug versperrt uns das Weiterkommen. Wir blockieren nun den ganzen Verkehr. Wir sind nicht die einzigen, die auf diese Idee gekommen sind. Viele wollen diese «Abkürzung» nutzen. Ein Hupkonzert der feinsten Art beginnt.
Ich steige aus und entferne mich. Ich brauche einen Moment der Stille muss Durchatmen um nicht die Nerven zu verlieren. Die Reise hat mich gelernt, in solchen Situationen zuerst zu pausieren, zu überlegen und erst dann zu handeln. Das wäre früher undenkbar gewesen. Die Dorfbewohner bringen mir einen Stuhl. Ich muss offenbar sehr mies ausgesehen haben.
Nun da stehen wir inmitten der engen Gasse und nix geht mehr. Die Dorfbewohner geben alles und das geparkte Auto, dass uns den Weg versperrt, wird weggefahren. Die entgegenkommenden Fahrzeuge werden in die Seitenstrassen dirigiert. Oben auf unserem Dach sitzt inzwischen ein junger hilfsbereiter Pakistani. Er ist dafür besorgt, dass keine Kabel, Werbebanner und Wäsche an unserem Dach hängen bleiben. Ich schaue rechts aus dem Fenster und sehe, dass wir Handbreit an anderen Fahrzeugen, Dächern und Verkaufsständen vorbeischleichen. Dani macht dasselbe auf seiner Seite und vor uns läuft ein älterer rundlicher Herr und stoppt alle um uns herum und hilft uns beim Manövrieren.
Irgendwie und irgendwann lassen wir mit vereinten Kräften die unendlich die langgezogene Stadt hinter uns und reihen uns wieder in den Stau ein. Haben wir Zeit gutgemacht, wir die es ja so eilig haben? Nein, mit Sicherheit nicht, nur alle aufgehalten die in den wohlverdienten Feierabend fahren möchten. Erstaunlicherweise hat sich niemand so aufgeregt wie ich mich. Alle waren ruhig und sehr hilfsbereit.
Weiter geht’s über die Stadt Bhera, wo wir uns mit Waqas verabredet haben. Wir haben ihn und seine Oma auf dem Weg in den Norden schon kurz in seinem kleinen Heimatdörfchen besucht. Heute geht es zur Orangenfarm von Waqas Verwandten. Kaum ausgestiegen, ich bin hintern mitgefahren und dem entsprechend verschwitzt, werde ich auf die Frauenseite begleitet und richtiggehend angestarrt. Die erste weisse Besucherin. So werden meine Kleider inspiziert, meine weisse Haut betastet und ich muss ihnen mein offenes Haar zeigen. Ich lerne viele strahlende Frauen kennen die unentwegt auf Urdu zutexten.
Im Garten sitzend, wie eine Königin auf einem riesigen weissen kitschigen Stuhl mit goldener Verzierung, werde ich bedient. Es ist mir unangenehm. Das Sitzkissen ist mit dem Plastikschutzbezug überzogen. Die Ladys sitzen lachend um mich herum und beobachten jede meiner Gesten. Mir wird frischer Mango Lassi, frittierte Kartoffeln und den obligaten Tee serviert. Danach führten sich mich Händchen haltend durch den Gemüsegarten und kicherten um mich rum.
Wir fahren gemeinsam mit Waqas zur Shershah Suri Mosque, wo es angeblich einen unterirdischen 100 Kilometer langen Tunnel geben soll. Dieser wurde gebaut, um den König im Notfall aus der Stadt zu bringen. Via Bazaar wo wir diversen Street Food probieren, hygienisch oder nicht, weiter zu Alis Familie. Das vegetarische Nachtessen ist einfach, bunt und lecker, nur sind wir kaum mehr hungrig nach all dem Süssen und Frittiertem.
Am nächsten Morgen geht’s früh los um auch noch die letzten Kilometer nach Lahore hinter uns zu bringen. Wir sind mit Adeel verabredet. Er hilft uns bei den anstehenden Arbeiten am Unimog. Wir haben ein Leck in der Druckluftleitung und verlieren hinten rechts Bremsflüssigkeit, die wir alle 100km nachfüllen müssen. Zudem will Dani die Reifen nachschneiden lassen. Adeel der «Mogfather» von Pakistan hat für alles eine Lösung. Sein Mechaniker des Vertrauens kommt direkt vor Ort und die Strasse vor deinem Haus wird zur Werkstatt. Es ist heiss, feucht und die Sonne scheint gnadenlos aus der Senkrechten. Ich beneide die Drei nicht. Zum Glück bietet der Unimog teilweise etwas Schatten. Bei undichten Stellen sind oft die Dichtungen im Eimer, so auch bei uns. Zu unserem Erstaunen sind hier in Lahore alle Ersatzteile verführbar. Adeel gibt uns zusätzlich Dichtungen als Ersatz mit. Für die Reparatur der Bremsen müssen die Sättel ausgebaut werden. Adeels Mechaniker nimmt die Bremssättel mit in seine Werkstatt.
Ich sitze im kühlen Inneren der Wohnung lese, blogge und plaudere mit Amara, Adeels Frau. Nebenbei baue ich den übelriechenden Wäscheberge ab. Dieser stapelt sich seit Wochen unter unserem Tisch und warten darauf gewaschen zu werden.
Abends begleite ich Amara zu einer Shoppingtour. Wir schlendern durch Stoffläden die von der Decke bis zum Boden mit wunderschönen Baumwollstoffen ausstaffiert sind. Diese kann man erwerben um sich damit beim Schneider die gewünschte Kleidung schneidern zu lassen. Meine Augen rollen in alle Richtungen und ich bin überfordert von so vielen Mustern und Farben. Amara kauft einen herrlichen Stoff für ihre Schwiegermutter. Es hängen auch zahlreiche traditionelle Pakistani Kleider an Bügeln. Ich kann mich nicht entscheiden und kaufe nichts.
Im nächsten Geschäft werde ich schnell fündig. Eine blumige Hose mit passendem Oberteil möchte ich gerne haben. Ich habe keine Chance an der Kasse zu bezahlen. Amira strahlt mich an und erklärt mir, dass die Shoppingtour geplant war um mir ein Kleid zu kaufen. Ein herzliches Dankeschön! Als wir zurückkommen ist der reparierte Bremssattel bereits wieder montiert. Dani strahlt. Nun steht nichts mehr im Wege am nächsten Tag, es ist der 15. Juli, in der Stadt die Reifen nachschneiden zu lassen. An Danis 60. Geburtstag!
Zu Danis Geburtstag holt Adeel seine beiden Motorräder aus der Garage. Eine Vespa aus den 70iger Jahren und eine noch ältere indische Royal Endfield. Luft aufpumpen, Bremsen kontrollieren, Helme auf uns los geht's. Dani kommt nach einer guten Stunde mit einem Big Smile im Gesicht zurück. Best gift ever!
Wir haben für am Abend einen Tisch für sieben Personen im Restaurant Andaaz reserviert. Adeel, Amara, die drei Kinder und wir quetschen uns in Adeels Auto und fahren ca. eine Stunde quer durch Lahore zu den Tempelanlagen. In absoluter Traumlage, auf einer luftigen Terrasse werden wir schon vom aufmerksamen Servicepersonal erwartet. Wir probieren uns durch die halbe Speisekarte durch und testen vieles unbekanntes. Noch selten haben wir so gut, exotisch und vielfältig gegessen. Und klar, wir tragen beide unsere neuen Kleider, denn auch Dani hat sich in Lahore neu eingekleidet.
Ein weiterer schöner Tag neigt sich dem Ende zu und wir freuen uns auf Morgen, denn ein letztes Frühstück in Lahore wartet auf uns. Nochmals die frischen Mangos geniessen und den delikaten Tee von Amara schlürfen. Wir verabschieden uns herzlich bei unserer Gastfamilie und neu gewonnen Freunden. Hupend brausen wir davon und machen uns auf zur Grenze nach Indien. Wagha die Grenzstadt ist nur ca. 30km von Lahore entfernt. Wie immer ist massig was los auf den Strassen aber wir sind entspannt und freuen uns auf Indien.
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